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Arbeitsunfähigkeit: Arbeitgeber gewinnt vor dem Bundesarbeitsgericht

Von Dr. Uwe Schlegel Bekanntlich steht Arbeitnehmern und auch Auszubildenden für den Fall einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung ein Anspruch

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Von Dr. Uwe Schlegel

Bekanntlich steht Arbeitnehmern und auch Auszubildenden für den Fall einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung zu. Leider ist betroffenen Arbeitgebern auch bekannt, dass Arbeitnehmer bisweilen einen auf ganz krank machen, aber gar nicht krank sind. Ein Klassiker: Der Arbeitgeber kündigt und hofft darauf, dass der Arbeitnehmer in der auslaufenden Kündigungsfrist seinen Urlaub bzw. Resturlaub nimmt. Was aber geschieht stattdessen? Der Arbeitnehmer läuft zum Arzt und lässt sich durch diesen bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses krankschreiben. Sodann macht er einen Anspruch auf Auszahlung des nicht genommenen Urlaubs geltend. Natürlich neben dem Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Als Arbeitgeber muss man sich das immer wieder gefallen lassen, da dem ärztlichen Attest ein hoher Stellenwert beizumessen ist. Das ärztliche Attest besitzt nämlich – wie der Jurist so schön formuliert – einen hohen Beweiswert. Jetzt aber gibt es Hoffnung. Und zwar ausgehend von der höchsten Instanz in Arbeitssachen, dem Bundesarbeitsgericht (BAG). Jedenfalls auf den ersten Blick.

Der Arbeitgeber verliert immer – nur ein Vorteil?

Es ist allgemein bekannt, dass Arbeitsgerichte nicht der Ort sind, an dem Arbeitgeber große Erfolge feiern können. Meistens steht der Verlierer einer gerichtlichen Auseinandersetzung schnell fest. Es ist der Arbeitgeber. Das mag erst einmal nicht verwundern. Denn das Arbeitsrecht ist Arbeitnehmerschutzrecht. Umso mehr muss es erstaunen, wenn ein Arbeitsgericht, hier das BAG, zugunsten eines Arbeitgebers entscheidet. Und zwar in einem Fall, der häufig vorkommt.


Event-Tipp: KAI Konferenzen im Mai 2022

Dr. Uwe P. Schlegel ist Referent beim KAI Rechtstag außerklinische Intensivpflege (17. Mai 2022) und bei der KAI Management Konferenz (18. Mai 2022) in Düsseldorf.

Was war passiert?

Die Arbeitnehmerin einer Zeitarbeitsfirma hatte ihr Arbeitsverhältnis Anfang Februar 2019 mit einer 14-Tages-Frist gekündigt und dem Arbeitgeber eine auf den Tag des Ausspruchs der Kündigung datierte ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, eine sog. Erstbescheinigung, umgangssprachlich auch „gelber Zettel“ genannt, vorgelegt. Damit hatte sie versucht vom Arbeitgeber für die Zeit bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu erlangen. „Rein zufällig“ war die Dauer der von der Arbeitnehmerin behaupteten Erkrankung exakt so lange wie die Restlaufzeit des beim Arbeitgeber noch bestehenden Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitgeber verweigerte die Entgeltzahlung, weil er der Auffassung war, dass der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert sei; die sich auf die Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses erstreckende angebliche Erkrankung der Arbeitnehmerin könne allein durch ein ärztliches Attest nicht ausreichend unter Beweis gestellt werden. Während die Arbeitsgerichte in erster und zweiter Instanz der Arbeitnehmerin Recht gaben, wies das BAG in letzter Instanz die auf Zahlung gerichtete Klage der Arbeitnehmerin rechtskräftig ab (BAG, Urt. v. 08.09.2021 – 5 AZR 149/21).

Das kannst Du doch Deiner Oma erzählen!

Großmütter gelten gemeinhin als leichtgläubig. Vermutlich zu Unrecht. Das Bundesarbeitsgericht muss sich aber angesichts des ihm zur Entscheidung vorgelegten Sachverhalts an die in der Überschrift zitierte Redensart erinnert haben. Denn die angebliche Krankheitsgeschichte unserer Arbeitnehmerin kam dem Gericht merkwürdig vor. Das BAG wollte, anders als die Vorinstanzen, an so viel Zufall bei der Dauer der von der Arbeitnehmerin behaupteten Krankheit nicht glauben. Das Gericht sah daher den Beweiswert der von der Arbeitnehmerin vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als erschüttert an.

Ein Einzelfall oder eine Entscheidung mit Folgen auch für andere Fälle?

Nun stellt sich für die Praxis die Frage, ob die Entscheidung lediglich einen Einzelfall betrifft oder nicht eine Kehrtwende in der Rechtsprechung bedeutet. Was können betroffene Arbeitgeber fortan tun, wenn sie das Gefühl haben, dass ihnen mit tatkräftiger Unterstützung der ärztlichen Zunft nicht die Wahrheit erzählt wird?

Zunächst bleibt festzuhalten, dass das Urteil des BAG einen Fall betrifft, der Besonderheiten aufweist. Das fängt mit der „Passgenauigkeit“ der von der Arbeitnehmerin behaupteten Krankheit an. Diese begann am Tag der Abgabe der Kündigungserklärung und endete exakt am letzten Tag der Kündigungsfrist. Des Weiteren hatte die Arbeitnehmerin, nachdem sie durch das Bundesarbeitsgericht auf Zweifel am Beweiswert der von ihr vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aufmerksam gemacht worden war, dem Gericht nichts „Entlastendes“ vorgetragen, sodass dem BAG nichts anderes übrig blieb, als die Klage abzuweisen. Zwingend ist das aber in nur leicht anders gelagerten Fällen nicht! In der Presseerklärung des BAG heißt es wie folgt:

„Die Klägerin hat die von ihr behauptete Arbeitsunfähigkeit im Streitzeitraum zunächst mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen. Diese ist das gesetzlich vorgesehene Beweismittel. Dessen Beweiswert kann der Arbeitgeber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit geben. Gelingt das dem Arbeitgeber, muss der Arbeitnehmer (…) darlegen und beweisen, dass er arbeitsunfähig war. Der Beweis kann insbesondere durch Vernehmung des behandelnden Arztes nach entsprechender Befreiung von der Schweigepflicht erfolgen.“

Das bedeutet: Wenn der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert sein sollte – so wie im durch das BAG entschiedenen Fall – steht es dem Arbeitnehmer frei, die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit auf anderem Weg zu beweisen. Wie der Pressemitteilung des BAG zu entnehmen ist, kann das insbesondere durch Vernehmung des behandelnden Arztes durch ein Gericht bzw. Arbeitsgericht geschehen. Sollte der Arzt dann eine Zeugenaussage ganz im Sinne des Arbeitnehmers machen, wird der Arbeitgeber in vielen Fällen den Kürzeren ziehen.


Autor: Dr. Uwe P. Schlegel ist Rechtsanwalt und Geschäftsführer der ETL Rechtsanwälte GmbH in Köln

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