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Basale Stimulation in der häuslichen Kinderintensivpflege

Das Konzept Basale Stimulation wird häufig in Verbindung mit stimulieren bzw. Reize setzen gesehen und praktiziert. Es ist aber viel

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Das Konzept Basale Stimulation wird häufig in Verbindung mit stimulieren bzw. Reize setzen gesehen und praktiziert. Es ist aber viel mehr. Es werden Bedingungen für den betreffenden Menschen geschaffen, um sich selber, den eigenen Körper und sich als Person, sowie die unmittelbare Umgebung zu entdecken.

Es braucht ein Gegenüber, das ihn in seinen Ausdrucksmöglichkeiten wahr- und ernstnimmt. Ziel ist u.a. Selbstvertrauen in das eigene ICH zu erhalten bzw. aufzubauen und einen sinnvollen Austausch mit dem DU zu ermöglichen. Konzept, verstanden als eine gedankliche Annäherung an Probleme und Schwierigkeiten des Gegenübers. Dabei ist, gerade im häuslichen Bereich, nicht nur der „Patient“ im Fokus, wie das folgende Beispiel zeigt.

Zu Beginn stelle ich die Situation in Kürze vor, der volle Umfang würde den Rahmen sprengen. Ebenso beschränke ich mich bei den Angeboten auf eine Situation, die hier besonders eindrücklich war und den weiteren Verlauf wesentlich beeinflusste.

Schwangerschaft mit Komplikationen

Es geht um die Begleitung von Thomas, eines mittlerweile 8-jährigen Jungen. Die Mutter erlitt in der 37. Schwangerschaftswoche einen toxischen Schock. Per Sectio wurde das Kind geholt und musste invasiv behandelt werden. Nach siebenmonatigem Krankenhausaufenthalt, begleitet von kritischen Situationen, konnte die Familie ihr Kind endlich nach Hause holen. Doch das Leben gestaltete sich schwieriger als gedacht. Diagnosen wie Tetraplegie, Mittelhirnsyndrom und Krampfanfälle führten und führen zu erheblichen Einschränkungen und wurden zu einer Herausforderung in der Lebensgestaltung. Später kamen stark wuchernde Fibrome im Mundbereich hinzu die das Schlucken und die Atmung zusätzlich erschwerten. Eine PEG- und Tracheostomaversorgung erleichtern die Situation und ermöglichen eine ausgewogene Nahrungszufuhr. Es kommt immer wieder zu Sauerstoffabfall, Pulsanstieg und vermehrtem Sekret- und Speichelfluss, besonders bei Stresssituationen. Die Sehfähigkeit ist nicht sicher einzuschätzen. Es wird angenommen, dass Unterscheidung von hell – dunkel möglich ist. In wie weit Objekt- oder vor allem Gesichtserkennung möglich sind, ist unklar. Auf akustische Angebote wie Musik oder singen reagiert er gut. Er wirkt auch interessiert bei Übertragungen der Bundesliga. So gut es geht, wird Thomas in das Leben mit eingebunden. Die pflegerische Versorgung wird zum Teil von der Familie, vorwiegend von der Mutter, geleistet. Zur Entlastung und Unterstützung findet für 40 Stunden in der Woche eine pflegerische Betreuung durch einen Intensivpflegedienst statt.

Nicht nur Thomas hat bei seiner dramatischen Geburt, anschließender Reanimation und langem Krankenhausaufenthalt sowie auch später durch Operationen und Atemnöte, immer wieder extreme Krisen erfahren. Vor allem Stresssituationen waren immer wieder von existenziell bedrohlichen Sauerstoffabfällen begleitet. Dies wurde auch vom Umfeld bedrohlich erlebt. Es entwickelte sich bei allen Beteiligten zunehmend Angst und Stress, aber auch Hilflosigkeit. Es stellte sich die Frage, was es braucht, um die Situation zu entschärfen.

Neue Sicht auf Situationen

Gemeinsam wurde eruiert, wie Thomas Situationen erleben könnte. Es fällt auf, dass Thomas wie in hab acht in Erwartung ist, was als nächstes kommt. Uns wurde bewusst, dass wir alles bedachten und taten, um Thomas Leben zu erhalten. Es wurde viel getan, um das Leben für ihn gut zu gestalten. Die Tätigkeiten wurden sehr wohlmeinend und zugewandt durchgeführt. Sobald aber Stressanzeichen bei Thomas erkennbar wurden, wurde entweder sehr zügig gearbeitet, damit die vermeintliche Tortur für Thomas vorbei ist, oder es kam zum Abbruch.

In der Auseinandersetzung nach und mit dem Konzept Basale Stimulation entwickelte sich eine neue Sicht auf die Situationen. Es zeigte sich, dass Thomas kaum mit einbezogen wird – es wird für ihn gemacht. Mit der Fragestellung, ob die veränderte Atmung eine Mitteilung sein könnte, begannen wir, Thomas in seinen Möglichkeiten “sich mitzuteilen”, neu zu betrachten. Bisher deuteten wir es als “gefällt mir, gefällt mir nicht”. Es könnte aber auch heißen: “nicht so schnell, nicht so fest”. Kommunikation wird im Konzept gedeutet als gemeinschaftlich, gemeinsam, in Interaktion sein, im Austausch sein. Das Tempo von Tätigkeiten wurde an Thomas und seine Möglichkeiten der Verarbeitung angepasst. Statt bei Sauerstoffabfall schneller zu werden, verlangsamten wir bzw. hielten im Tun inne, bis Thomas uns durch Blick oder Atmung zu verstehen gab, es ist gut. So gelang uns zunehmend ein wechselseitiger Austausch. Für Thomas ergab sich dadurch die Möglichkeit, pflegerische Aktivitäten mit zu gestalten. Die Sicht auf Thomas Fähigkeiten wurde eine andere. Stresssituationen waren fast schlagartig Vergangenheit für alle Beteiligten, vor allem für die Familie und das Familienleben. Für mich ist es immer wieder aufs Neue erstaunlich, wie Mitgestalten und Autonomie durch achtsames Wahrnehmen und bewusstes Begleiten zum Tragen kommen.


Autorin: Elisabeth Wust, Praxisbegleiterin Basale Stimulation; ichdues, “Pflegetherapeutische Praxis beraten begleiten schulen” und Geschäftsstelle – Weiterbildung Basale Stimulation®; wust@ichdues.de

Aufmacherfoto: Adobe Stock/sewcream