Management FB

BSG-Urteil zu Vergütung und Versorgungszeiträumen

Das Bundessozialgericht (BSG) hat am 14. Juli 2022 eine bisher seltene Entscheidung über die Wirksamkeit eines Schiedsspruchs im Bereich der häuslichen Krankenpflege getroffen.

Stack of coins with judge gavel. Stack of coins with judge gavel.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat am 14. Juli 2022 eine bisher seltene Entscheidung über die Wirksamkeit eines Schiedsspruchs im Bereich der häuslichen Krankenpflege getroffen. Dabei entschied das BSG, dass ein Schiedsspruch unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne bestehenden Vertrag nach § 132a SGB V Vergütungsparameter für in der Vergangenheit liegende Versorgungszeiträume festsetzen darf (Az. B 3 KR 1/22 R).

Von Franziska Dunker

Der Sachverhalt

Die im entschiedenen Fall Beklagte ist eine zugelassene stationäre Pflegeeinrichtung, die unter anderem auch Beatmungsleistungen anbietet. Im Zeitraum vom 24. August 2011 bis 09. Mai 2012 versorgte der Pflegeeinrichtung eine bei der klagenden Krankenkasse Versicherte mit einer 24-stündigen Dauerbeatmung aufgrund entsprechender ärztlicher Verordnungen. Ein Versorgungsvertrag nach § 132a SBB V zwischen der Pflegeeinrichtung und der Krankenkasse bestand nicht.

Die Pflegeeinrichtung forderte von der Krankenkasse für die Versorgung der Versicherten Vergütungen in Höhe von insgesamt 21.238,00 Euro. Nachdem die Krankenkasse die Zahlung verweigerte, erwirkte die Pflegeeinrichtung mit Schreiben vom 11. Februar 2014 einen Mahnbescheid gegen die Krankenkasse. Gegen diesen legte die Krankenkasse Widerspruch ein. Das Verfahren wurden daraufhin vom Landgericht Stuttgart ans Sozialgericht Stuttgart verwiesen. Nachdem sich die Krankenkasse im dortigen Verfahren bereit erklärt hatte in Vertragsverhandlungen zu treten, wurde das Verfahren für übereinstimmend erledigt erklärt.

Nach erfolglosen Verhandlungen beantragte die Pflegeeinrichtung im Rahmen eines Schiedsverfahrens mit Schreiben vom 18. September 2015 für die Versorgung der Versicherten im Zeitraum vom 24. August 2011 bis 09. Mai 2012 eine Vergütung in Höhe von insgesamt 21.238 Euro festzusetzen.

Mit Schiedsspruch vom 05. April 2016 legte die Schiedsperson fest, dass die Krankenkasse der Pflegeeinrichtung für die Versorgung der Versicherten den beantragten Betrag zu entrichten hat.

Verfahren in den Vorinstanzen

Die Krankenkasse legte daraufhin am 10. August 2016 Klage gegen den Schiedsspruch beim Sozialgericht Stuttgart ein. Sie beantragte die Aufhebung des Schiedsspruchs und die Ersetzung des Schiedsspruchs durch Urteil nach billigem Ermessen, hilfsweise die Feststellung der Unwirksamkeit des Schiedsspruchs.

Mit Urteil vom 02. Juli 2020 hat das Sozialgericht Stuttgart die Unwirksamkeit des Schiedsspruchs festgestellt, die Klage in Bezug auf die Ersetzung des Schiedsspruchs aber abgewiesen. Die Entscheidung wurde nach von der Pflegeeinrichtung eingelegter Berufung vom Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Urteil vom 18. August 2021 bestätigt.

Die Unwirksamkeit des Schiedsspruchs wurde vom LSG Baden-Württemberg damit begründet, dass die Schiedsperson im Rahmen des Schiedsverfahrens nach § 132a SGB V nicht berechtigt sei, Zahlungspflichten festzustellen. Hiermit habe sie ihren vom Gesetz eingeräumten Gestaltungsspielraum überschritten. Sie sei allein dazu berechtigt, den Inhalt von Verträgen zwischen Pflegediensten und Krankenkassen festzulegen. Zwar könne die Schiedsperson auch einzelne Bestimmungen wie Vergütungsvereinbarungen festlegen. Dies setze aber voraus, dass ein Versorgungsvertrag mit den in § 132a SGB V festgelegten Mindestinhalten bereits existiere. Hierzu würden insbesondere aussagekräftige Regelungen über die zu erbringenden Leistungen, die dafür zu zahlenden Preise und deren Abrechnung sowie die Fortbildungspflicht der Leistungserbringer gehören. Die Feststellung einer Zahlungspflicht ohne zugrundeliegenden Vertrag oder Ergänzung eines Vertrags sei kein zulässiger Regelungsinhalt eines Schiedsspruchs. Aufgabe der Schiedsperson sei es allein, die abstrakten vertraglichen Grundlagen festzulegen. Die Feststellung der Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung im Einzelfall gehöre nicht zum Aufgabenbereich der Schiedsperson, im Streitfall seien hierzu ausschließlich die Sozialgerichte berufen.

 

Franziska Dunker auf dem KAI 2022 in Essen

Rechtsanwältin Franziska Dunker ist Referentin auf dem Kongress für Außerklinische Intensivpflege und Beatmung, am 27. und 28. September in Essen. Sie spricht dort über den aktuellen Stand der tarifähnlichen Vergütung nach dem GVWG in der außerklinischen Intensivpflege.

Die Entscheidung des BSG von 14. Juli 2022

Gegen die zweitinstanzliche Entscheidung des Landessozialgerichts legte die Pflegeeinrichtung Revision beim BSG ein. Die Revision war im Wesentlichen erfolgreich. Auch wenn der Schiedsspruch eine Zahlungspflicht hinsichtlich eines Gesamtbetrags nicht wirksam habe festsetzen können, urteilte das BSG, habe er zumindest für den streitgegenständlichen Zeitraum einen mit dem Pflegesatz nicht abgedeckten Zusatzaufwand für eine 24-Stunden-Beatmung in Höhe von 78,75 Euro täglich wirksam festgesetzt.

Die Urteilsgründe stehen noch aus. Aus dem bereits veröffentlichten Terminbericht ergibt sich, dass den vorinstanzlichen Gerichten zwar insoweit Recht gegeben werde, dass die Schiedsperson nicht ermächtigt sei, Zahlungspflichten festzulegen. Sie dürfe insoweit nur vertragliche Bestimmungen, z.B. über die Preise, festsetzen. Die Schiedsperson sei hingegen nicht berechtigt, den Gesamtbetrag einer Vergütung für einzelne in der Vergangenheit bereits abgewickelter Leistungsvorgänge zu bestimmen. Da aus der Begründung des Schiedsspruchs aber entnommen werden könne, welche Preise die Schiedsperson bei der Berechnung des zu zahlenden Gesamtbetrags festgesetzt habe, sei der Schiedsspruch insoweit wirksam. Er müsse daher nur auf die zulässige Bestimmung über die preisbildenden Faktoren reduziert, aber nicht gänzlich aufgehoben werden. Dies folge aus dem verfahrensrechtliche Anspruch der Pflegeeinrichtung auf Durchführung des Schiedsverfahrens als Voraussetzung für die Durchsetzung des Zahlungsanspruchs.

Der Festsetzung allein von Preisen stehe dabei nicht entgegen, dass zwischen der Pflegeeinrichtung und der Krankenkasse kein Vertrag nach § 132a SGB V abgeschlossen worden war. Zwar ziele § 132a SGB V grundsätzlich darauf ab, dauerhafte Rechtsbeziehungen in Form von Verträgen zwischen Pflegeeinrichtungen und Krankenkassen mit den in § 132a SGB V genannten Regelungsbestandteilen zu begründen. Soweit allein eine rückwirkende Vergütung für die Vergangenheit streitig sei und zudem nicht damit zu rechnen sei, dass die Pflegeeinrichtung in naher Zukunft weitere Versicherte der Krankenkasse versorgen und entsprechende Vergütungsansprüche geltend machen wird, dürfe die Krankenkasse den Abschluss einer nur die Parameter der Vergütung betreffenden Vereinbarung nicht verweigern, vorausgesetzt der Leistungserbringer sei nicht ersichtlich ungeeignet und die erbrachten Leistungen wurden ärztlich verordnet und der Krankenkasse rechtzeitig zur Genehmigung vorgelegt.

Wichtige Aussagen für die Praxis

Aus der Entscheidung lassen sich folgende wichtige Aussagen für die Praxis herleiten:

Soweit Pflegeeinrichtungen Leistungen der häuslichen Krankenpflege gegenüber Pflegebedürftigen erbringen, mit deren Krankenkasse sie kein Vertrag nach § 132a SGB V abgeschlossen haben, kann die Pflegeeinrichtung unter bestimmten Voraussetzungen von der Krankenkasse rückwirkend verlangen, in Verhandlungen allein über den Abschluss einer Vergütungsvereinbarung zu treten, ohne zuvor bzw. zugleich auch einen Vertrag nach § 132a SGB V abschließen zu müssen. Soweit man dies aus dem bisher nur veröffentlichten Terminsbericht ableiten kann, besteht der Anspruch auf Abschluss einer solchen rückwirkenden isolierten Vergütungsvereinbarung unter folgenden Voraussetzungen:

  • der Leistungserbringer darf nicht ersichtlich zur Leistungserbringung ungeeignet sein,
  • die erbrachten vergütungsfähigen Leistungen waren ärztlich verordnet und der Krankenkasse im Verfahren nach der HKP-Richtlinie rechtzeitigt vorgelegt,
  • die Versorgung des Versicherten ist abgeschlossen, d.h. es wird die Vergütung für einen vergangenen Zeitraum begehrt und
  • die Versorgung von weiteren Versicherten der Krankenkasse ist in naher Zukunft nicht absehbar.

Sollte sich die Krankenkasse weigern, eine solche isolierte Vergütungsvereinbarung abzuschließen bzw. kommt eine Einigung über die Vergütungsparameter nicht zustande, kann der Abschluss der Vergütungsvereinbarung im Wege des Schiedsverfahrens durchgesetzt werden. Die Schiedsperson ist in diesem Verfahren aber allein berechtigt, die Parameter der Vergütung (insb. einen Vergütungssatz) zu bestimmen. Eine Zahlungspflicht in Form eines Gesamtbetrags kann die Schiedsperson der Krankenkasse nicht auflegen. Sollte die Krankenkasse auch nach Festlegung eines Vergütungssatzes die Zahlung verweigern, muss die Pflegeeinrichtung ihren Zahlungsanspruch mittels einer Leistungsklage vor den Sozialgerichten durchsetzen. Der Schiedsspruch ist hierfür allerdings notwendige Grundlage, um überhaupt eine Leistungsklage erheben zu können.

Neben dem möglichen Abschlusses einer vom Bestehen eines Vertrags nach § 132a SGB V unabhängigen Vergütungsvereinbarung wurde sowohl von den Instanzgerichten als auch vom BSG zudem nochmals ausdrücklich bestätigt, dass im Rahmen von § 132a SGB V sowohl Verträge nach § 132a SGB V als auch Vergütungsvereinbarungen rückwirkend abgeschlossen werden können.

Aufmacherbild: Adobe Stock/andranik123