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„Chefs wissen es (n)immer besser“ – ein Update.
Yves Michaelis, Geschäftsleitung im Born Gesundheitsnetzwerk in Dortmund, gibt ein Update zum Personalkonzept, nach dem im Netzwerk gearbeitet wird. Michaelis

Yves Michaelis, Geschäftsleitung im Born Gesundheitsnetzwerk in Dortmund, gibt ein Update zum Personalkonzept, nach dem im Netzwerk gearbeitet wird. Michaelis wird auch beim KAI spezial 2020 und der KAI Managementkonferenz über das Thema sprechen.
Anfang dieses Jahres berichteten wir in Ausschnitten aus unserem langen und intensiven Weg in die Selbstorganisation. Heute, ein paar Monate später, möchten wir ein Update geben zu unseren Erfahrungen, Lernschleifen, Höhen und Tiefen auf diesem Weg.
Konsequent geleitet von der Überzeugung, dass Menschen grundsätzlich Verantwortung für ihr Handeln übernehmen wollen und zielführende Entscheidungen treffen möchten und können, stellen wir Muster in Frage und probieren mutig neue, andere Möglichkeiten der Organisationsgestaltung aus.
Und natürlich hat auch uns die Pandemie unvorbereitet getroffen. Beschäftigt mit der strategischen Entwicklung unserer Geschäftsbereiche, der Auseinandersetzung mit uns selbst auf mehreren Ebenen und der üblichen operativen Hektik hat uns das überhaupt nicht in den Kram gepasst. Plötzlich verschoben sich unerwartet die Prioritäten. Die Organisation und Bereitstellung der persönlichen Schutzausrüstung stand ganz oben. Masken und Schutzkittel werden Mangelware, konnte das jemand ahnen?
Unbekanntem begegnen
Wenn also das, was uns begegnet, nicht vorhersehbar ist, Erfahrungen aus der Vergangenheit sich nicht auf die Gegenwart oder gar Zukunft übertragen lassen, Ursache und Wirkung unklar zu erkennen sind und Standards nicht (mehr) weiterhelfen, dann beschreibt das ganz gut die SARS-CoV-2 Pandemie. Es gibt auch einen Begriff dafür, der bereits deutlich vor der Pandemie geprägt wurde, die VUCA-Welt.
Volatility – unbeständig
Uncertainty – ungewiss
Complexitiy – komplex
Ambigutity – mehrdeutig
(1987 nach dem Zusammenbruch der UdSSR vom amerikanischen Militär entwickelt – plötzlich gab es keinen eindeutigen Feind mehr)
Wie begegnen wir dieser Welt? Wie lautet Best Practice bei unklarem Infektionsgeschehen? Was sagt der Standard aus bei Mangel an persönlicher Schutzausrüstung? Wie belastbar sind Dienstpläne bei einer jederzeit möglichen Quarantäne von Pflegefachkräften oder Querschnittsfunktionen? Wie sieht der Morgen oder vielmehr wie sieht es in einer Woche aus? Ich weiß nicht, wie es Ihnen ging, aber ich hatte im März keine belastbaren Antworten darauf.
Wie sieht eine adäquate Reaktion in einer solchen Krise aus?
Einen klaren Weg ging der DAX-Konzern SAP. Noch Ende des Jahres 2019 wurde eine Doppelspitze in die Führung des Konzerns berufen. Ein Mann und eine Frau. SAP rühmte sich mit diesem Modell, bestens für die Zukunft aufgestellt zu sein. Zwei Personen diskutieren und gestalten die Zukunft des Konzerns, Vielfalt in der Führung als Antwort auf die Vielfalt der Herausforderungen in der Gegenwart und Zukunft.
In der Pandemie, also in einer unstrittigen VUCA-Welt, kehrte der Konzern allerdings sehr zügig wieder in seine alten Muster zurück. „Angesichts des beispiellosen Wandels in der Welt ist jetzt der richtige Zeitpunkt, zu einem CEO für das Unternehmen zurückzukehren“ hieß es aus dem Konzern. Also wenn es ernst und in der Gegenwart und Zukunft deutlich wird, dass sie unbeständig, ungewiss, komplex und mehrdeutig ist, braucht es (wieder) den einsamen Top Down – Entscheider. Einen, der die Situation erkennt, Informationen klar beurteilt und zügig gute und richtige Entscheidungen trifft – in einer Pandemie!?
Ich möchte die Entscheidung nicht negativ beurteilen, vielmehr zeigt sich für mich deutlich, was wir machen, wenn wir in Krisen kommen. Wir neigen zur Überforderung und fallen in alte langjährig konditionierte Muster zurück. Das ist für mich nachvollziehbar und doch braucht es aus meiner Sicht gerade an dieser Stelle den Mut, eben nicht auf alte Strategien zurück zu greifen, die in einer VUCA – Welt nicht mehr zielführend sind. Nur am Rande: Dass die Frau ging und der Mann blieb, sagt wohl auch noch einiges über das aktuelle Menschenbild und Muster aus.
Wie reagierten wir auf die Pandemie?
Wir arbeiten seit Jahren an unserer Firmenkultur, die Menschen in ihrer Selbstwirksamkeit begreift und unterstützt, die eine ganzheitliche Sicht auf jede einzelne Kollegin und jeden einzelnen Kollegen zulässt und die Kompetenz stärkt, die Zukunft auszuhandeln und zu gestalten.
Sehr kurzfristig wurde ein Krisenteam gebildet, Fach- und Führungskräfte trafen sich wöchentlich in Videokonferenzen zum Austausch. Informationen des RKI, Verordnungen und Gesetze wurden gesichtet, diskutiert und gemeinsam Entscheidungen getroffen. Die Menge an Informationen, zeitweise sich sehr kurzfristig ablösender Verordnungen und Gesetze waren eine Herausforderung und hätten eine einzelne Person auch schnell überfordert. Wir hatten uns Rahmenbedingungen gesetzt, die verbindlich waren. Die Ausgestaltung dieser konnten jedoch den wechselnden Situationen angepasst werden.
Selbstorganisation aus unserer Erfahrung erfordert übrigens ein sehr konkretes Maß an Organisation und ist eben nicht Beliebigkeit oder Laissez-faire. Der Unterschied zur klassisch hierarchischen Organisation ist bei uns, dass unter den unbedingt erforderlichen zentralen Überschriften aus Mission und Vision die Regeln nicht top down, sondern durch diejenigen erarbeitet und festgesetzt werden, die in diesem Setting auch arbeiten. Das macht Regeln anschlussfähig, zielführend, tragfähig und tatsächlich auch verbindlich. Nein, natürlich werden sie nicht von Allen immer eingehalten. Regeln setzen neben der Orientierung auch individuelle Grenzen. Das schmeckt nicht immer gut. Im Team erarbeitete Regeln können auch im Team wieder diskutiert und abgeändert werden. Wer „A“ sagt, darf auch erkennen, dass „A“ falsch war. Allerdings geht das nur zu dem Zeitpunkt, wenn diese Regeln gerade nicht greifen.
Neben einer wöchentlichen Information im Intranet zum aktuellen Geschehen telefonierten die jeweiligen Führungskräfte täglich mit den Pflegefachkräften in den 1:1 Versorgungen. Nein, nicht um die Einhaltung der hygienischen Bedingungen zu kontrollieren, sondern gerade, um die weichen Themen wie Ängste, Befürchtungen, Sorgen usw. zu thematisieren. Durch unser Menschenbild, dass wir unsere Kolleginnen und Kollegen ganzheitlich sehen wollen und dürfen, gibt es keine Trennung zwischen „Beruf und privat“. Ich bin eine Person und wenn ich Sorgen habe, dann ist die Quelle egal (Beruf oder privat), sie haben auf jeden Fall Einfluss in meine Rollen.
Ca. alle 14 Tage habe ich die KollegInnen aus den Bundesländern zum Videointerview eingeladen. Dort habe ich ebenfalls zum Tagesgeschehen berichtet und stand für Fragen aus der Mannschaft zur Verfügung. Und ja, es gab reichlich Fragen. Und nein, ich hatte nicht auf alle Fragen Antworten. Jedoch zeigte sich der Umstand, dass wir uns damit beschäftigten schon positive Wirkung. Es ist absolut legitim auch als Chef zu sagen: „Sorry, dass weis ich auch nicht.“
Innerhalb der unterschiedlichen Teams entstanden selbständig Aktionen wie das organisierte Nähen von MNS-Masken, KollegInnen fragten lokal z.B. in Nagelstudios nach, ob sie MNS-Masken abgeben könnten (unter Lockdown-Bedingungen), regionale Hersteller wurden nach Desinfektionsspenden angefragt usw. Es war ein Engagement wahrzunehmen, das nicht zentral gesteuert werden musste, lediglich Plattformen für den Austausch untereinander wurden zur Verfügung gestellt. Es herrschte eine aufmerksame, unaufgeregte und dabei interessierte Arbeitsatmosphäre. Es gab kein Bunkern oder Verschwinden von Schutzkleidung/Desinfektionsmittel. Die Kunden wurden weiterhin sehr gut versorgt, die Kolleginnen und Kollegen arbeiteten noch enger zusammen.
Immer und Alle? Ich würde die Unwahrheit sagen, wenn ich das so bestätigen würde. Wir glauben fest daran, dass jeder Mensch ein großes Interesse hat, selbstwirksam zu arbeiten. Allerdings braucht es dafür Kompetenzen, die manchmal erst erweckt und gehoben werden dürfen. Und dafür braucht es Einladungen durch die Organisation, durch die Führungskräfte. Und es braucht Mut durch die Kolleginnen und Kollegen auch gute Erfahrungen zu machen – gerade, wenn in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht wurden.
Feedback als Hilfe zur Beziehungsgestaltung
Wir verstehen den Weg in die Selbstorganisation nicht als ein abgeschlossenes Ziel. Es ist vielmehr ein Prozess, geprägt von Lernschleifen, Höhen und Tiefen, Anstrengung und Stress. Wahrhaftige Lernkultur, also nicht Fehler, sondern Erfahrungen machen – das darf man erst einmal aushalten. Ein Beispiel für eine Lernschleife gefällig?
Feedback geben, echtes Feedback – ist eine der herausforderndsten Tätigkeiten. Doch Feedback ist so wichtig, weil es eine echte tragfähige Beziehung gestaltet.
Noch vor zwei Jahren hatten wir gute, belastbare und zielführende Interventionen zur Feedbackkultur entwickelt. Im Führungskreis diskutiert, überdacht und ausgearbeitet – um sie dann in die Mannschaft zu bringen. Wir schulten die Kolleginnen und Kollegen in den Interventionen und unterstützten in der Terminierung von Gesprächen. Alles war gut vorbereitet, ausgearbeitet, in Konzepte gegossen, diese wiederum gut in die Landschaft gebracht, perfekt. Komisch war nur, dass die Feedbackrunden außerhalb der des Führungskreises nicht liefen!
In alten Mustern und top down Kontrollen wären jetzt Sanktionen die Folge gewesen. Ja ok, bei dem Pflegefachkraftmangel vielleicht eher Belohnungen für die Umsetzung.
Beides kam für uns nicht in Frage. Wir wollten verstehen, woran es hakt. Die Kolleginnen und Kollegen hatten das „Wofür“ noch nicht für sich klar. Sie waren eben nicht an dem Auseinandersetzungsprozess beteiligt, an dem „bewusstwerden“. Und es braucht auch Selbstführungskompetenz. Denn wenn ich meinem Gegenüber ein Feedback gebe, dann sagt das ganz viel über mich aus, da ich mich als Referenz nehme. Dessen darf ich mir ebenfalls erst einmal bewusstwerden. Und das benötigt eine Auseinandersetzung, die Raum und Zeit voraussetzt.
Menschen haben ein großes Interesse, Verantwortung zu übernehmen, ihr Umfeld zu gestalten und sind intrinsisch motiviert. Ja, auch an ihrem Arbeitsplatz! Wenn Sie mehr dazu erfahren oder eine Begleitung in der Weiterentwicklung möchten, sprechen Sie uns gerne an.
Autor: Yves Michaelis, Geschäftsleitung, Intensivpflege Born Gesundheitsnetzwerk; y.michaelis@born-pflege.de
Aufmacherbild: Adobe Stock/fotogestoeber
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