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Kommentar: Werte & Moral in der Pflege

Als ich vor vielen Jahren den Beruf der Krankenschwester gelernt habe, war das etwas Besonderes, worauf ich stolz war.  Noch

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Als ich vor vielen Jahren den Beruf der Krankenschwester gelernt habe, war das etwas Besonderes, worauf ich stolz war.  Noch heute erfüllt mich dieser Beruf mit Dankbarkeit, denn ohne die wertvollen Erfahrungen, die ich während meiner Ausbildung und in sechs Jahren Berufserfahrung im Krankenhaus gesammelt habe, wäre ich jetzt nicht dort, wo ich heute bin.

Wenn heute ein junger Mensch sagt: „Ich überlege, ob ich eine Ausbildung in der Kranken- oder Altenpflege mache!“, melden oftmals zu allererst die eigenen Eltern Bedenken an: „Mensch Kind, hast Du Dir das auch gut überlegt?“

Es macht mich traurig, zu sehen, wie sich das Image dieses Berufs in den vergangenen 25 Jahren gewandelt hat. Man kann fast schon von Mitgefühl sprechen und ein ganzer Berufsstand rutscht in die Opferrolle.

Während der Corona-Pandemie wurde geklatscht, es wurde in den höchsten Tönen von unseren Pflegekräften gesprochen und die Systemrelevanz dieser Berufsgruppe betont. Wenige Wochen später, ist davon kaum noch etwas zu hören. Alle gehen wieder zur Normalität über.

Sich selbst hinterfragen

Meine provokante Frage lautet an dieser Stelle: Was haben Pflegekräfte selbst dazu beigetragen, dass sich das Image ihres Berufs so verändert hat? Wie steht es denn um ihre eigenen Werte und ihre Moral? Wie gehen sie selbst mit ihren Kollegen und Kolleginnen um? Wie viel Hilfsbereitschaft erwarten sie von anderen und wie viel Hilfsbereitschaft sind sie selbst bereit zu geben? Wie sprechen sie außerhalb ihres beruflichen Umfeldes über ihre Vorgesetzten, über ihre Arbeit, ihre Kollegen und letztendlich über ihren eigenen Berufsstand?

Ich möchte hier keinesfalls verallgemeinern. Es gibt sehr viele Mitarbeiter, ohne deren unermüdliches Engagement und deren unendliche Hilfsbereitschaft Versorgungen schon längst zusammengebrochen wären. So viele Pflegekräfte springen ein, überbrücken Dienste und stellen private Belange zurück.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch die  Mitarbeiter, die einen Wunsch im Dienstplan nicht erfüllt bekommen und dann überraschend krank sind, und die auffallen, weil sie immer wieder die Kollegen im Stich lassen, indem sie plötzlich verhindert sind. In so einem Falle sind dann die  hilfsbereiten Kollegen gefragt, die kurzfristig einspringen müssen.

Für Führungskräfte und Disponenten stellt dies ein großes Problem dar. Sie wissen, wer das Einspringen sofort ablehnt, auf wen sie in Notfällen nicht zählen können und auf wen kein Verlass ist. Was am Ende bleibt, ist der Frust. Sowohl bei denjenigen, die immer wieder einspringen müssen als auch bei den Führungskräften, die wissen, dass das nicht fair ist und auf Kosten der verlässlichen Mitarbeiter geht.

Ein faires Miteinander

Verhaltensmuster zeichnen sich bereits im Bewerbungsprozess ab. Bewerber schicken mangelhafte und unvollständige Unterlagen an Unternehmen und drücken schon damit aus, dass sie ihren potenziellen zukünftigen Arbeitgeber nicht wertschätzen. Immer wieder kommt es vor, dass Bewerber einfach nicht zum Interview erscheinen oder telefonisch nicht mehr erreichbar sind.

Wenn sich die Führungskraft auf das Gespräch intensiv vorbereitet hat, sich darauf freut, einen Bewerber persönlich kennen zu lernen und vielleicht noch einen weiten Anfahrtsweg zurückgelegt hat, der Bewerber aber einfach nicht erscheint, dann sind durch ein solches Verhalten Resignation, Ärger und Enttäuschung vorprogrammiert.

Auch, wenn die erste Frage im Vorstellungsgespräch lautet: „Was zahlt ihr?“ Dann erweckt dies den Eindruck, dass es dem Bewerber gar nicht um die eigentliche Tätigkeit und das Unternehmen geht. Werte werden dann völlig außer Acht gelassen und Unternehmenskultur wird nicht verlangt. In Zeiten von eklatantem Fachkräftemangel in der Pflege macht die Führungskraft auch hier Abstriche und ist froh, wenn sie überhaupt jemanden einstellen kann.

Wo bleiben da die Moral und Werte? Wo ist da die Empathie? Denn niemand möchte so behandelt werden. So viele Pflegekräfte machen einen tollen Job. Sie engagieren sich und beweisen täglich ihr Können und ihre Professionalität, sie werden aber von den „schwarzen Schafen der Branche“ mit in den Strudel nach unten gezogen. Ihrem ganzen Berufsstand haftet plötzlich ein schlechteres Image an. Das ist nicht fair. Worüber spricht wohl diese Führungskraft beim nächsten Treffen mit Familie und Freunden, wenn sie völlig umsonst ein Gespräch vorbereitet hat, im Auto saß und unverrichteter Dinge wieder im Büro sitzt? Sie hat Zweifel, inwieweit sich ihr Engagement lohnt.

Aus Sicht einer Pflegekraft kann ich zwischen vielen offenen Stellen wählen und kann Forderungen stellen. Ich weiß, ich werde nicht so schnell gekündigt, da ich gebraucht werde und es nicht so schnell Ersatz für mich gibt.  Die Frage, die sich jedoch jede und jeder stellen sollte:

  • Was erwarte ich von anderen und wie möchte ich behandelt werden?
  • Wie bringe ich mich in dieses Team ein? Wie viele Wünsche werden mir erfüllt und was bin ich bereit zu geben?
  • Wie verbindlich möchte ich wahrgenommen werden?
  • Wie würde es mir wohl gehen, wenn ich zum Vorstellungsgespräch erscheine und mir wird gesagt „wir haben doch keine Zeit für Sie?“ oder „tut uns leid, die Stelle wurde heute vergeben“.
  • Wie geht es mir, wenn Vereinbarungen nicht eingehalten werden?

Wir alle wünschen uns Wertschätzung und Anerkennung und das zeige ich nicht nur mit Worten, sondern auch mit meiner inneren Haltung und meinem täglichen Tun und Handeln, meinen moralischen Verhaltensweisen, die das Miteinander fördern und Wertschätzung ausdrücken.

Es kommt darauf an, Werte zu verankern – und werden diese nicht gelebt oder sogar mit „Füßen getreten“, ist das mit aller Klarheit zu benennen und zu spiegeln. Wichtig ist es doch, den Pflegerinnen und Pflegern eine nachhaltige Stimme zu geben, die tagein tagaus hoch engagiert in diesem Beruf arbeiten, die Werte wie Zuverlässigkeit, Hilfsbereitschaft, Toleranz und Vertrauen leben und mit Stolz und Freude ihren Beruf ausüben.


Autorin: Doris Marx-Ruhland ist Geschäftsführerin der Team Marx-Ruhland GmbH. Sie und ihr Trainerteam begleiten seit über 15 Jahren Unternehmen und Menschen auf ihrem Entwicklungsweg. Ihre Leidenschaft ist die

Arbeit mit Menschen und die nachhaltige Entwicklung von Teams und Führungskräften. Sie holen Menschen bei ihren Überzeugungen ab, bringen Bewegung in ihre Ansichten, spiegeln Verhalten und schaffen damit

Verbundenheit und Zuversicht. Dabei sind sie loyal, humorvoll und bodenständig.

 

www.marx-ruhland.de; dmr@marx-ruhland.de; Tel. 08171/239261

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