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NeuroCare 2.0 – Bewusstseinszustände und diagnostische Verfahren

In Deutschland leben schätzungsweise 1500 – 5000 Menschen mit dem Syndrom reaktionsloser Wachheit. Florian Seybecke vom Zentrum für Beatmung und Intensivpflege in Berlin erläutert die Diagnose.

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von Florian Seybecke

In Deutschland leben schätzungsweise 1.500 – 5.000 Menschen mit dem Syndrom reaktionsloser Wachheit. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist der Begriff des Syndroms reaktionsloser Wachheit auch unter „Wachkoma“ bekannt. Jährlich kommen ca. 1.000 neue Fälle dazu. In der heutigen Diagnostik bei Menschen mit schweren Hirnschädigungen besteht vor allem die Herausforderung, den richtigen Bewusstseinszustand zu diagnostizieren. Trotz modernen diagnostischen Verfahren liegt die Rate der Fehldiagnosen bei der Feststellung eines minimalen Bewusstseinszustands (SMB/MCS) aktuell bei 37 – 43 Prozent.

Grundsätzlich muss zwischen einem Koma, dem Syndrom reaktionsloser Wachheit (SRW), dem Syndrom minimalen Bewusstseins (SMB), dem Verwirrtheitssyndrom und dem Normalzustand unterschieden werden. Für die Einschätzung kommt in den meisten Fällen die CRS-r (Coma Recovery Scale revised) und bildgebende Verfahren wie das fMRT, das QEEG und das FDG-PET Verfahren zum Einsatz.

Vom Koma zum Normalzustand

Der Prozess vom Koma bis zum Normalzustand wird anhand zwei wichtiger Faktoren beurteilt. Zum einen wird im Verlauf die Wachheit (Alertness) und zum anderen das Bewusstsein (Awareness) eingeschätzt. Für die endgültige Diagnostik werden bildgebende Verfahren eingesetzt.

Menschen im klassischen Koma weisen wenig Wachheit und wenig Bewusstsein auf. Der Tonus der Muskulatur ist schlaff, es erfolgt keine Reaktion auf Schmerzreize.

Sobald der Betroffene spontan die Augen öffnet, jedoch keine bewusste und reproduzierbare Reaktion zu seiner Außenwelt zeigt, liegt ein „Syndrom reaktionsloser Wachheit (SRW/ UWS)“ vor. Hier ist der Grad der Wacheheit (Alertness) zwar erhöht, jedoch bleibt der Grad des Bewusstseins (Awareness) auf einem niedrigeren Niveau. Das Syndrom reaktionsloser Wachheit ist außerdem meist durch eine starke Tetraspastik, an nicht an die Tageszeit angepasste Wachphasen und starken Agitationsverhalten gekennzeichnet.

Ist der Betroffene dazu in der Lage, eine einfache kurze Blickfixierung und/oder eine bewusste Veränderung seines Atemmusters durchzuführen, kann man von einem niedrigen „Syndrom minimalen Bewusstseins (SMB/MCS)“ ausgehen. Als bewusste Reaktion werden alle Aktionen bewertet, die durch den Betroffenen bewusst ausgeführt werden können.

Erfolgt das Befolgen einfacher Aufforderungen, wie zum Beispiel „Hebe deinen Arm“ oder „greif nach meiner Hand“, kann man von einem „Syndrom minimalen Bewusstseins (SMB/MCS)“ in einer hohen Qualität sprechen. In diesem Bewusstseinsstadium kann der betroffene Mensch ggf. außerdem seine Stimme in Form von lautieren, brummen oder lallen einsetzen und ist in der Lage erste gezielte mimische Reaktionen zu zeigen.

Das „Verwirrtheitssyndrom“ beschreibt einen Zustand, in dem der Betroffene zwar direkt reproduzierbare Reaktionen zeigt, jedoch körperlich sowie geistig stark eingeschränkt ist. Ein funktioneller Objektgebrauch sowie die funktionelle Kommunikation ist möglich. Jedoch kommt es zu starken Einschränkungen im Kurz- und Mittelzeitgedächtnis und bipolaren Stimmungslagen.

Aktuelle Diagnostik

Die Coma Recovery Scale revised (CRS-r) gilt als Goldstandard in der aktuellen Diagnostik von Menschen mit schweren neurologischen Defiziten. Das Assessment beinhaltet eine auditive, visuelle, motorische und orale-motorische Funktionsskala sowie eine Skala für den Bereich der Kommunikation und Vigilanz.

Analog zu der CRS-r, kommen bildgebene Verfahren hinzu. In einer Studie von Bender et al (2015) wurden drei Verfahren zur Diagnostik auf ihre Sensitivität getestet. Darunter sind zwei fMRT Verfahren und das QEEG (Quantitatives Elektroenzephalogramm). Dabei ist herausgekommen, dass das fMRT Verfahren FDG – PET (Fluordesoxyglucose Positronen-Emissions-Tomographie) eine Zuverlässige und Konstante Sensitivität von 85 Prozent aufweist. Bei herkömmlichen PET Verfahren wurde eine Sensitivität von 44 – 55 Prozent und beim QEEG Verfahren eine stark Schwankende Sensitivität von 69-97 Prozent festgestellt. Somit gilt das FDG-PET als zuverlässigste Diagnostik. Zieger (2018) hat herausgefunden, dass sich trotz der anwendbaren Verfahren, die Rate der Fehldiagnostik in den letzten 20 Jahren nicht gebessert hat.

Aufmacherbild: Adobe Stock / jolygon