News

Neurocare 2.0 – Versorgungsgestaltung und Aussichten

In Teil drei der Serie zum Syndrom reaktionsloser Wachheit geht es um die Versorgungsgestaltung und zukünftige Aussichten.

In den ersten zwei Teilen der Artikelserie zu „Neurocare 2.0“ beschreibt Autor Florian Seybecke Bewusstseinszustände und Diagnostik des Syndroms reaktionsloser Wachheit (Teil 1) und die Rahmenbedingungen der Versorgung (Teil 2). In Teil drei der Serie geht es nun um die Versorgungsgestaltung und zukünftige Aussichten.

Von Florian Seybecke

In der heutigen Versorgungsgestaltung von Menschen mit dem Syndrom reaktionsloser Wachheit werden Konzepte benötigt, die dafür sorgen, dass Menschen mit schweren Hirnschädigungen einen möglichst hohen Grad der Teilhabe erhalten. Die Teilhabe ist neben der Langzeitrehabilitation außerdem eine der zentralen Aufgabe von Phase F Einrichtungen.

Ein mögliches Konzept wäre zum Beispiel, eine Kombination aus einer regelmäßigen Erfassung vom Bewusstseinsstatus des Patienten*in anhand von Assessments. Hinzu kommen transdiziplinär erarbeitete Versorgungsempfehlungen und die regelmäßige Evaluation bzw. Reflektion der Arbeitsprozesse.

Grafik: Florian Seybecke

Die Bewusstseinseinschätzung

Im Prozess der Rehabilitation von Menschen mit dem Syndrom reaktionsloser Wachheit ist es ratsam, eine regelmäßige Bewusstseinseinschätzung bzw. Remissioneinschätzung vorzunehmen. Eine Möglichkeit bietet die KRS – Koma Remissionsskala. Mit der Skala ist es möglich, analog zu ärztlicher und therapeutischer Expertise herauszufinden, ob die Patienten*in einen minimalen Bewusstseinsstatus oder das Verwirrtheitssyndrom erreicht haben. Die Evaluation kann beispielsweise alle drei Monate erfolgen.

Versorgungsempfehlungen

Versorgungsempfehlungen sind trandiziplinär erarbeitete Pflege- und Therapievorschläge. Diese werden im Team zusammen mit den Patienten*innen und deren Angehörigen besprochen, verschriftlicht und in Patientennähe ausgehangen. Auf den Versorgungsempfehlungen werden Individualitäten wie das Begrüßungsritual, Besonderheiten bei der Mundpflege, Geschmacksanregung, den aktuellen Bewusstseinszustand, Besonderheiten in der Versorgung und die eigentlichen konzeptionellen pflegerisch-therapeutischen Ansätze erfasst.

Konzeptionelle Methoden

Im Bereich NeuroCare gibt es mittlerweile viele pflegerisch/ therapeutisch Konzepte. Hierzu gehört zum Beispiel die Basale Stimulation, der Dialogaufbau, LiN – Lagerung in Neutralstellung, das Bobathkonzept, F.O.T.T. – Facio Orale Trakt Therapie, Kinaesthetics, Geführte Interaktion nach Affolter, konzeptionelle Ganzkörperwaschungen und Vertikalisierungskonzepte wie das VeRegO- oder THERA-konzept.

Hierbei ist es besonders wichtig, die für den Patienten*in passenden Konzepten zu im Team zu besprechen und durchzuführen. Bei einem Menschen der zum Beispiel unter einer Tetraspastik leidet, ist es sinnvoll, eine diametrale (spastiklösende) Ganzkörperwaschung in die Versorgungsempfehlung aufzunehmen. Bei einem Menschen, der unter einer Hemiparese leidet, ist es dabei sinnvoll eine neurophysiologische Ganzkörperwaschung durchzuführen.

Durchführungsprozess

Im Durchführungsprozess werden die in der Versorgungsempfehlung erfassten konzeptionellen Angebote durchgeführt, überwacht und ggf. innerhalb des Prozesses angepasst. Auch in diesem Prozess ist der tranzdiziplinäre Austausch von großer Bedeutung.

Evaluation

In der großen Evaluation wird der aktuelle Bewusstseinszustand bei Menschen mit dem Syndrom reaktionsloser Wachheit erneut eingeschätzt. Es erfolgt eine Verlaufskonferenz zwischen allen an dem Prozess beteiligten Akteuren. In der Verlaufskonferenz wird besprochen, ob die geplanten Ziele erreicht wurden und/oder welche Anpassungen nötig sind, um das Ziel zu erreichen. Wichtig hierbei ist, der Wunsch des Patienten*in und deren Angehörigen hat oberste Priorität.

Zukünftige Aussichten – NeuroComm Trainer

Das Center for Excellence Cognitive Interactive Technology, kurz CiTEC, aus der Universität Bielefeld, entwickelt derzeit ein System, mit dem es möglich sein soll, Menschen mit schweren Bewusstseinsstörungen wie SRW/MCS anhand von rudimentären Reaktionen wie Temperaturveränderungen, Hautkontakt, Kraftmessung und Muskulaturdehnungen kommunizieren zu lassen.

Durch den NeuroCommTrainer ist es möglich, basale Kommunikation durch EEG-Signale einen “Ja/Nein Code” auf einem Handy oder Tablet sichtbar zu machen. Das System wird bereits intensiv getestet und wurde zusammen mit Experten*innen aus der Pflege, Neurowissenschaften, Psychologie, Sozialwissenschaften, Ingenieurswissenschaften und der Informatik entwickelt. Durch den NeuroCommTrainer würden Menschen mit dem Syndrom reaktionsloser Wachheit, Syndrom minimallen Bewusstseins oder im Locked-In-Syndrom mehr Autonomie und vor allem mehr Teilhabe am sozialen Leben erhalten. Der NeuroCommTrainer soll außerdem Krampfereignisse frühzeitig erkennen können.

Aufmacherfoto: Adobe Stock/paul