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„Pflege-Thermometer 2022“ liefert Antworten zum GKV-IPReG

Autor Johann-Moritz Hüsken ist Mit-Autor der Studie „Pflege-Thermometer 2022“ und ordnet die Studienergebnisse bezüglich des GKV-IPReG ein.

Foto: Florian Arp Veröffentlichung nur nach Genehmigung und mit Fotohinweis Foto: Florian Arp Veröffentlichung nur nach Genehmigung und mit Fotohinweis

Skandalmeldungen gingen durch die Medien: Missstände in der außerklinischen Intensivpflege wurden öffentlich. Als Reaktion folgten Gesetzesentwürfe zur Neuregelung dieses Versorgungsbereichs. Erst das RISG, dann umgetauft in GKV-IPReG und nun hat der G-BA die Umsetzung in der AKI-RL präzisiert – alles begleitet von intensiven Protestaktionen. In der Studie „Pflege-Thermoter 2022“ hat sich das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung damit beschäftigt. 

Von Johann-Moritz Hüsken

Umstrittene Neuregelung

August 2019: die Bundesregierung reagierte mit dem Entwurf zum Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz (RISG). Mit größter Sorge sahen betroffene Personengruppen das Selbstbe­stimmungsrecht bei der Wahl des Aufenthaltsortes – gemäß Artikel 19a der UN-Behinderten­konvention – verletzt. Nach dem vehementen Widerspruch wurde ein überarbeiteter Entwurf unter neuem Namen vorgelegt: das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (GKV-IPReG). Weiterhin stand dieses in Kritik; zentral wurde der §37c (2) bemängelt, der die Versorgung im privaten Haushalt nur als Ausnahme vorsah. Trotzdem ist das GKV-IPReG im Oktober 2020 in Kraft getreten – zu dieser Zeit medial überlagert von der COVID-19-Pandemie.

Der Gesetzgeber hatte jedoch einen zentralen Arbeitsauftrag festgelegt: der Gemeinsame Bundes­ausschuss (G-BA) soll die Rahmenbedingungen für die Umsetzung – in einer Richtlinie über die Ver­ordnung von außerklinischer Intensivpflege (AKI-RL) – definieren. Ziel war es, Fehlanreize in der Versorgung zu beheben und eine bedarfsgerechte Versorgung zu fördern. Am 18. März 2022 ist die AKI-RL in Kraft getreten. Eine wissenschaftliche Fundierung lag bei der Erstellung nur in unzureichendem Maße vor. Aufgrund der Forschungslücke wurde die Studie „Pflege-Thermometer 2022“ initiiert, um spezifische Antworten für weiterführende Diskussionen rund um das GKV-IPReG zu liefern.

Das Pflege-Thermometer 2022

Das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung e.V. (DIP) hat die bislang umfassendste Befragung in diesem Versorgungsbereich umgesetzt. Dabei handelt es sich um eine deskriptive Querschnittstudie. Schwerpunkt waren drei standardisierte Online-Befragungen, bei denen zentrale Versorgungsaspekte von 299 Menschen mit häuslichem Intensivversorgungsbedarf, 303 Pflegenden und 94 Leitungen von ambulanten Diensten und Einrichtungen erhoben wurden. Ergänzt wurden die Befunde mit qualitativen Ergebnisworkshops, um realitätsnahe Deutungen herauszuarbeiten. Für interessierte Leser*innen ist der Studienbericht empfehlenswert (verfügbar auf der Instituts-Homepage). Nachfolgend werden exemplarisch Ergebnisse vorgestellt.

 

Das Pflege-Thermometer 2022 auf dem KAI

Studien-Co-Autor Johann-Moritz Hüsken stellt die Ergebnisse des Pflege-Thermometer 2022 in einem Vortrag auf dem Kongress für außerklinische Intensivpflege und Beatmung 2022 vor. Alle Informationen unter kai-intensiv.de/kongress

Kommentar zum GKV-IPReG

Im GKV-IPReG wird nicht im ausreichendem Maß die stark variierenden Bedürfnisse der Menschen mit häuslichem Intensivversorgungsbedarf sowie die Komplexität des Versorgungsbereichs berücksichtigt. Es handelt sich um Personen mit einer Bandbreite an Krankheitsbildern und individuellen Unter­stützungsbedarfen. Abseits des Intensivversorgungsbedarfs lassen sich kaum Merkmale identifizieren, die auf eine Homogenität der Gruppe hindeuten. Verallgemeinerungen und Übertragungen spezi­fischer Bedarfe auf einzelne Gruppen gilt es daher zu vermeiden.

Deutlich wird dies u.a. in der zentralen Zielsetzung der Ausschöpfung des Beatmungsentwöhnungs- und Dekanülierungspotenzials. Denn rund jede dritte befragte Person (33,1 Prozent) benötigt keinerlei Beatmung und für 80,6 Prozent der beatmeten Personen ist eine Entwöhnung ausgeschlossen, da die Beatmung lebensnotwendig ist. Daneben wären für 65,8 Prozent massive Einschränkungen der Lebensqualität die Folge. Nichtsdestotrotz sind beatmete Personen wiederkehrenden Kontrollen ausgesetzt; selbst Ausnahmeregelungen bei dauerhafter Beatmungsindikation sind mit fragwürdigem Aufwand verbunden. Neben medizinischen Befunden soll der Wille der betreuten Person be­rücksichtigt werden. Aktuell erscheint die Gesetzgebung angesichts der Interpretationsbreite un­präzise. Zentral sollten Faktoren beachtet werden, die aus Sicht der Menschen mit häuslichem Intensivversorgungsbedarf die Lebensqualität begünstigen; dafür müssen diese stärker eingebunden und nicht nur in diesem Kontext der persönliche Wille als entscheidender Faktor angesehen werden.

Es handelt sich nämlich nicht um eine „hilflose“ Personengruppe, die ausschließlich auf die Entscheidungen und Expertise anderer angewiesen sind. Vielmehr besteht ein ausgeprägter Wunsch nach Selbstbestimmung: für fast alle ist die Mitbestimmung bei generellen Versorgungsent­scheidungen (94,6 Prozent), z.B. Bestimmung des Versorgungsorts, und bei Entscheidungen der täglichen Versorgung (93,6 Prozent) bedeutsam. Viele der Befragten führen ihr Leben überwiegend selbstbestimmt oder haben An- und Zugehörige, die Entscheidungen stellvertretend oder unter Einbindung dieser treffen können. Nicht nur vor diesem Hintergrund ist die Versorgung in der eigenen Häuslichkeit von herausragender Bedeutung; denn dort sind mehr Möglichkeiten für die Bedürfnisorientierung und Förderung der sozialen Teilhabe vorhanden. Diese Versorgungsform gilt es daher zu erhalten. Im Koalitionsvertrag der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wurde ein entsprechendes Versprechen formuliert.

Weiterhin soll künftig die Einbindung der Angehörigen weiter gestärkt werden, indem diese formell mehr Aufgaben übernehmen dürfen. Allerdings übernehmen diese bereits zahlreiche Aufgaben und sind dadurch Belastungen ausgesetzt; nur 8,7 Prozent sind nicht in die Versorgung involviert. Nicht selten müssen diese unbesetzte Versorgungszeiten ausgleichen; die Versorgung sollte daher zuverlässig abgedeckt und Angehörige müssen zukünftig besser unterstützt anstelle zusätzlich belastet zu werden.

Leider zeigen sich Lücken, die nicht nur auf die pflegerische Versorgung begrenzt sind; auch im medizinischen Bereich sind diese relevant. Denn künftig ist nur noch ein ausgewählter Kreis verordnungsfähig. Hierzu bestehen zwischen den gesetzlichen Anforderungen und realen Möglich­keiten deutliche Differenzen. Eine mögliche Lösung läge in der Telemedizin, jedoch wird diese bisher kaum genutzt; diese gilt es daher zu fördern.

Insgesamt wird die Umsetzung des GKV-IPReG weiterhin mit Schwierigkeiten verbunden sein. Im Rahmen einer strukturierten und qualitätsgesicherten Versorgung muss dabei eine lebensweltliche Orientierung an den Bedarfslagen der Menschen mit häuslichen Intensivversorgungsbedarf und Förderung der Teilhabe im Zentrum stehen.


Zur Studie

Aufmacherfoto: Florian Arp