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Tarifähnliche Vergütung: wichtige Änderungen in den Vorgaben

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, hat der Deutsche Bundestag am 28. Juni 2022 im Zuge des „Pflegebonusgesetzes“ die im Hinblick auf die zum 01. September 2022 in der Pflege geltende Verpflichtung zur Bezahlung einer tariflichen bzw. tarifähnlichen Vergütung zentralen Normen der §§ 72 und 82c SGB XI in wesentlichen Punkten geändert.

Traifbaustelle als Schriftzug auf einem Sperrband. Traifbaustelle als Schriftzug auf einem Sperrband.

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, hat der Deutsche Bundestag am 28. Juni 2022 im Zuge des „Pflegebonusgesetzes“ die im Hinblick auf die zum 01. September 2022 in der Pflege geltende Verpflichtung zur Bezahlung einer tariflichen bzw. tarifähnlichen Vergütung zentralen Normen der §§ 72 und 82c SGB XI in wesentlichen Punkten geändert. Diese Änderungen, welche nachfolgend dargestellt werden, haben enorme Auswirkungen auf die Praxis. Am meisten betroffen sind Pflegeeinrichtungen, welche sich für die Mindesteinhaltung des regional üblichen Entlohnungsniveaus als Durchführungsweg entschieden haben.

Von Stephan Binsch

Allgemeine Änderungen

  1. Die Veröffentlichung nach § 82c Abs. 5 SGB XI, welche zum einen die Übersicht über die Tarifwerke enthält, welche das regional übliche Entlohnungsniveau um nicht mehr als 10 % überschreiten, und die zum anderen auch die regional üblichen Entlohnungsniveaus und die regional üblichen Niveaus der pflegetypischen Zuschläge beinhaltet, wird künftig monatlich aktualisiert. Vorgeschrieben ist nunmehr auch, dass in Bezug auf die Tarifverträge und kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen unter anderem auch deren jeweilige Laufzeit zu veröffentlichen ist. Auch Änderungen bei der tariflichen Entlohnung werden künftig veröffentlicht.
  2. Der Spitzenverband der Pflegekassen wird bevollmächtigt, festzulegen, welche Folgen eintreten, wenn eine Pflegeeinrichtung ihrer Mitteilungspflicht in Bezug auf den beabsichtigten Durchführungsweg nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig nachkommt.

Änderungen beim Durchführungsweg „Entlohnung nach einem Tarifvertrag oder einer kirchlichen Arbeitsrechtsregelung“

  1. Der Gesetzgeber hat nunmehr festgelegt, dass für den Fall, dass eine Änderung im Hinblick auf die im jeweiligen Tarifwerk vereinbarte Entlohnung eintritt, die Pflegeeinrichtungen die erforderlichen Anpassungen spätestens innerhalb von zwei Monaten vorzunehmen haben, nachdem die jeweilige Änderung nach § 82c Abs. 5 SGB XI veröffentlicht wurde, vgl. § 72 Abs. 3b Satz 6 SGB XI.
  2. In Bezug auf Beschäftigte, die überwiegend keine Leistungen der Pflege oder Betreuung erbringen, stellt die Gesetzesbegründung (Drs. 20/1909) klar: „Werden auch diese Beschäftigten nach dem Tarifvertrag oder den kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen bezahlt, der oder die […] für die Entlohnung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Leistungen der Pflege oder Betreuung von Pflegebedürftigen erbringen, maßgebend ist, kann dies in der Regel ebenfalls nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden.“

 

Vortrags-Tipp – Tarifähnliche Bezahlung auf dem KAI 2022

Auch auf dem Kongress für Außerklinische Intensivpflege und Beatmung ist die tarifähnliche Bezahlung Thema! Franziska Dunker, Rechtsanwältin bei Voelker & Partner, erläutert in ihrem Vortrag, wo die außerklinische Intensivpflege diesbezüglich steht und was das Management im Pflegedienst dazu wissen sollte.

Änderungen beim Durchführungsweg „regional übliches Entlohnungsniveau“

  1. Es ist nunmehr auch gesetzlich geregelt, dass Pflegeeinrichtungen, welche sich dafür entscheiden, ihre Mitarbeiter mindestens in Höhe des regional üblichen Entlohnungsniveaus zu vergüten, die veröffentlichten Werte der regional üblichen Entlohnungsniveaus über die drei Beschäftigtengruppen und die Höhe der regional üblichen Niveaus der pflegetypischen Zuschläge einhalten müssen. Höhere Zuschläge gegen ein niedrigeres Stundenentgelt gegenzurechnen oder umgekehrt, ist daher nicht möglich.
  2. In die Berechnung der regional üblichen Entlohnungsniveaus fließen nunmehr folgende Entlohnungsbestandteile ein, vgl. § 72 Abs. 3b Satz 2 Nummer 1 bis 5 SGB XI:a. der Grundlohn,
    b. regelmäßige Jahressonderzahlungen,
    c. vermögenswirksame Leistungen,
    d. pflegetypische Zulagen,
    e. der Lohn für Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft.

    Die wichtigste Änderung betrifft die ausdrückliche Nennung des Lohns für Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft. Entgegen der bisherigen Veröffentlichungen gemäß § 82c Abs. 5 SGB XI, welche noch Werte für Zuschläge für Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft auswiesen, sind Vergütungen für Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft nunmehr in die Berechnung des durchschnittlichen Stundenentgeltes mit einzubeziehen.

    Bislang waren in den Veröffentlichungen gemäß § 82c Abs. 5 SGB XI auch noch Werte für Zuschläge für Schicht- und Wechselschichtarbeit enthalten. Wechselschicht- oder Schichtzulagen müssen nach der Gesetzesbegründung nunmehr unter den Begriff der pflegetypischen Zulagen gefasst werden und somit ebenfalls bei der Berechnung des durchschnittlichen Stundenentgelts zu berücksichtigen.

  3. Pflegetypische Zuschläge sind gemäß § 72 Abs. 3b Satz 2 Nummer 6 SGB XI:

    a. Nachtzuschläge für den Zeitraum von mindestens 23 bis 6 Uhr,
    b. Sonntagszuschläge und
    c. Feiertagszuschläge.

    Die Gesetzesbegründung stellt klar, dass die oben aufgeführten Zuschläge nicht abschließend sind, sondern „mindestens“ zu gewähren sind. Denkbar ist daher, dass auch weitere Zuschläge wie Samstagszuschläge bezahlt werden. In Bezug auf einen ggfs. gewährten Flexibilitätszuschlag dürfte ebenfalls zu bejahen sein, dass es sich hierbei um einen pflegetypischen Zuschlag handelt – zumal dieser zunächst in den Veröffentlichungen nach § 82c Abs. 5 SGB XI bei den pflegetypischen Zuschlägen aufgeführt war.

  4. Der Gesetzgeber stellt klar, dass die derzeit veröffentlichten regional üblichen Entlohnungsniveaus und die derzeit veröffentlichten regional üblichen Niveaus der pflegetypischen Zuschläge bis zum 31. Januar 2023 maßgebend sind.
  5. Erhöhen sich die veröffentlichten regional üblichen Entlohnungsniveaus oder die veröffentlichten regional üblichen Niveaus der pflegetypischen Zuschläge, so haben die Pflegeeinrichtungen die höhere Entlohnung, welche dann für die Zeit ab 01. Dezember 2022 gilt, spätestens ab dem 01. Februar 2023 zu bezahlen. Für weitere Erhöhungen der veröffentlichten regional üblichen Entlohnungsniveaus und der veröffentlichten regional üblichen Niveaus der pflegetypischen Zuschläge gilt, dass diese spätestens ab dem 1. Januar des Jahres, welches auf die Veröffentlichung der neuen Werte folgt, zu zahlen ist. Im Jahr 2023 veröffentlichte Änderungen sind dann zum 01. Januar 2024 umzusetzen.
  6. Der Gesetzgeber bestimmt, dass ab dem 01. September 2022 die Zahlung von Entlohnungsbestandteilen nach § 72 Abs. 3b Satz 2 Nummer 1-5 SGB XI (siehe Punkt 2) nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden kann, soweit diese insgesamt das regional übliche Entlohnungsniveau um nicht mehr als 10 Prozent übersteigt, vgl. § 82c Abs. 2 Satz 1 SGB XI. Soweit das regional übliche Entlohnungsniveau um mehr als 10 Prozent überstiegen wird, bedarf es eines sachlichen Grundes, vgl. § 82c Abs. 3 Satz 1 SGB XI.Interessant ist, dass der Gesetzgeber die 10 Prozent-Schwelle nunmehr nur auf das regional übliche Entlohnungsniveau bezieht und die pflegetypischen Zuschläge in diesem Zusammenhang nicht mit aufführt. Es dürfte daher die 10 Prozent-Schwelle für die pflegetypischen Zuschläge (siehe Punkt 3) nicht gelten, was zur Folge hat, dass Zuschlagsmodelle, welche beispielsweise höhere Nachtzuschläge als die in der Veröffentlichung nach § 82c Abs. 5 SGB XI enthalten sind, beibehalten werden können.

Aufmacherfoto: Adobe Stock/TMC-Fotografie.de