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Teil 1: Was das IPReG für den Markt bedeutet

Das neue Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (GKV-IPReG) hat bereits im Entwurfsstadium für Wirbel gesorgt. Am 29. Oktober 2020 ist es in

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Das neue Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (GKV-IPReG) hat bereits im Entwurfsstadium für Wirbel gesorgt. Am 29. Oktober 2020 ist es in Kraft getreten. Als Hintergrund des neuen Gesetzes sind u. a. die hohen Kosten der Krankenkassen für ambulante Intensivpflege und die bisher geringe qualitative Reglementierung in diesem Bereich zu nennen. Die contec GmbH hat einen Blick auf die Neuerungen geworfen und erste Prognosen gewagt, was das IPReG für den Markt und die jeweiligen Leistungserbringer bedeutet.

Im Gesetzgebungsprozess erhielt das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz außergewöhnlich viel öffentliche und mediale Aufmerksamkeit. Ein erster Entwurf unter dem Titel Rehabilitation- und Intensivpflegestärkungsgesetz (RISG) wurde verworfen. Durch das Drängen von Betroffenen und Verbänden hat auch das darauffolgende Vorhaben mehrere Versionen und Änderungen durchlaufen. Die Kritik drehte sich vor allem um die Einschränkung der Wahl des Leistungsorts für Leistungsberechtigte.

Neuer Leistungsanspruch auf außerklinische Intensivpflege

Das IPReG bringt Änderungen in verschiedenen Bereichen. Es formuliert den Leistungsanspruch auf außerklinische Intensivpflege neu im § 37c SGB V. Der Anspruch umfasst „die medizinische Behandlungspflege, die zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist, sowie eine Beratung durch die Krankenkasse“. Es werden auch die möglichen Örtlichkeiten genannt, an denen außerklinische Intensivpflege erbracht werden kann.

  • Pflegeeinrichtungen
  • Einrichtungen der Hilfe für Menschen mit Behinderungen
  • Qualitätsgesicherte Intensivpflege-Wohneinheiten
  • Eigene Häuslichkeit
  • Andere geeignete Orte (z. B. betreute Wohnformen, Schulen etc.)

Weiter sieht das Gesetz Vorgaben zur Qualitätssicherung und eine finanzielle Entlastung der Intensiv-Pflegebedürftigen vor. Die Regelungsmaßstäbe für Rahmenempfehlungen der außerklinischen Intensivpflege legt § 132l SGB V fest.

Das GKV-IPReG setzt starke finanzielle Anreize zugunsten einer Versorgung in stationären Pflegeeinrichtungen mit Angeboten nach SGB XI – vor allem durch die weitgehende Entlastung der Leistungsberechtigten von Eigenanteilen. Hintergrund ist neben dem Kostenfaktor auch die Verteilung der knappen ‚Ressource Pflegefachkraft‘. Die Kriterien für die Leistungserbringung zu Hause oder in spezialisierten Wohneinheiten werden zugleich verschärft.

Betroffene stellen sich nun die Frage, ob ihr bisheriger bzw. gewünschter Ort der Leistungserbringung künftig den Kriterien und der jährlich vorgesehenen Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen entsprechen kann. Im § 37c SGB V heißt es:

Berechtigten Wünschen der Versicherten ist zu entsprechen. Hierbei ist zu prüfen, ob und wie die medizinische und pflegerische Versorgung am Ort der Leistung […] sichergestellt ist oder durch entsprechende Nachbesserungsmaßnahmen in angemessener Zeit sichergestellt werden kann“.

Gleichzeitig stellt sich auch für Leistungserbringer und andere Akteur*innen der Branche die Frage, welche Auswirkungen das Gesetz auf den Markt der außerklinischen Intensivpflege haben wird. Denn diese Erwägungen können für strategische und wirtschaftliche Entscheidungen von Diensten und Einrichtungen entscheidend sein.

Gut gemeint, aber wer macht‘s?

Nur besonders qualifizierte Vertragsärzt*innen dürfen künftig außerklinische Intensivpflege gemäß § 37c SGB V verordnen. Der Gemeinsame Bundesausschusses (G-BA), der in Richtlinien zum Gesetz den Inhalt und Umfang der Leistungen sowie die Anforderungen näher zu bestimmen hat, konkretisiert auch die besondere Qualifikation der Vertragsärzt*innen.

Eine im Kern sinnvolle Regelung lässt die Problematik des herrschenden Facharztmangels in den Krankenhäusern und niedergelassenen Praxen außer Acht. Je nach Ausgestaltung der Richtlinie besteht das Risiko einer möglichen verminderten oder nicht rechtzeitigen Entlassung in die außerklinische Intensivpflege.

Potenzial könnte perspektivisch in der Telemedizin liegen: So könnte beispielweise die routinierte Überwachung von Vitalparametern und deren digitale Weiterleitung an den Arzt oder die Ärztin helfen, die Besuche vor Ort konzentrierter bzw. gezielter zu organisieren. Hier bleibt abzuwarten, was u. a. der kürzlich vom Bundeskabinett verabschiedete Gesetzesentwurf zur digitalen Modernisierung von Versorgung und Pflege (DVPMG) im Bereich Telemedizin bringt.

Das IPReG sieht auch finanzielle Anreize für Krankenhäuser und Ärzt*innen vor, die gezielte Diagnosen, Prognosen und Behandlungspläne mit dem Ziel der Beatmungsentwöhnung und Dekanülierung verfolgen. Auch hier könnte die praktische Umsetzung des zunächst vernünftigen Ansatzes Probleme bereiten.

Denn die Umsetzung solcher Behandlungspläne sollte nur mit entsprechenden Weaning-Zentren erfolgen. So ist auch der Tenor der S2k-Leitlinie „Nichtinvasive und invasive Beatmung“. Spezialisierte Zentren dieser Art gibt es bisher in Deutschland aber nicht in ausreichendem Maß, was auch durch die Facharztproblematik bedingt sein könnte (s. dazu auch: B. Tews, bpa Magazin 3/2020).

Marktregulierung der außerklinischen Intensivpflege?

Inwieweit ist nun mit einer Veränderung des Marktes der außerklinischen Intensivpflege zu rechnen? Wird sich eine Verschiebung in Richtung stationärer Angebote ergeben? Diese Frage kann man heute wohl noch nicht vollumfänglich beantworten. Verschiedene Erwägungen deuten aber auf eher moderate Verschiebungen statt einer echten Umwälzung hin.

Das Marktvolumen der Außerklinischen Intensivpflege betrug 2018 1,9 Milliarden Euro; 1.855 Millionen Euro in der ambulanten Intensivpflege und 62 Millionen Euro in der Intensivpflege in stationären Einrichtungen. Das Versorgungsvolumen umfasste dabei ca. 19.100 Leistungsfälle in der ambulanten außerklinischen Intensivpflege. (vgl. Drucksache 19/19368)

  • Die angenommene „steigende Leistungserbringung in vollstationären Pflegeeinrichtungen und speziellen Intensivpflege-Wohneinheiten“ soll zu erheblichen Minderausgaben führen. Der entsprechenden Begründung im Gesetzesentwurf zufolge visierte der Gesetzgeber eine jährliche Ersparnis von einem „niedrigen bis mittleren dreistelligen Millionenbetrag“ an.

Geht man einmal von ca. 200 bis 500 Millionen Euro Einsparungen und durchschnittlich 100.000 Euro Ausgaben je Einzelfall aus, könnte die Versorgungssituation von ca. 2.000 bis 5.000 Versicherten direkt beeinflusst sein.

Aufgrund der Änderungen des Entwurfs zugunsten der freien Bestimmung der Leistungsberechtigten über den Leistungsort ist nun fraglich, wie realistisch dieses Einsparungspotenzial tatsächlich ist. Damit könnte diese hochgerechnete Zahl der Versicherten niedriger ausfallen.

Mit Blick auf den demografischen Wandel und die prognostizierte Fallzahlensteigerung von schweren Erkrankungen wie z. B. COPD, Multiple Sklerose oder Apoplexien sowie die damit einhergehende Steigerung der Pflegebedürftigen in Deutschland, ist allerdings auch mit einem weiteren Zuwachs dieser Gruppe von Pflegebedürftigen zu rechnen.

Wichtig für (potenzielle) Leistungserbringer

Die Landesverbände der Krankenkassen und Ersatzkassen werden durch das neue Gesetz verpflichtet, mit allen Leistungserbringern der außerklinischen Intensivpflege gemeinsam und einheitlich Verträge als Kollektivverträge zu schließen. Denn der hochsensible Versorgungsbereich der Intensivpflege soll nicht Gegenstand des Wettbewerbs der Kassen sein.

Noch zu erarbeitende Rahmenempfehlungen werden diesen Verträgen zugrunde gelegt. Die Basis ist auch hier: Die Bezahlung von Gehältern bis zur Höhe tarifvertraglich vereinbarter Vergütungen kann nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden.

In den bundeseinheitlichen Rahmenempfehlungen gemäß § 132l SGB V werden die Maßnahmen zur Qualitätssicherung in der außerklinischen Intensivpflege formuliert. Die Rahmenempfehlungspartner, Trägerverbände und Krankenkassen, erarbeiten dazu binnen zwei Jahren Anforderungen – mit Blick auf den jeweiligen Leistungsort. Das betrifft u. a. die personellen Anforderungen an die pflegerische Versorgung in puncto Qualifikation und Personalbedarf.

Und wie sieht es in der Übergangszeit mit den Verträgen aus? Hier lautet die Empfehlung der Krankenkassen (Quelle: ikk) vor allem, vertragslose Zustände zu vermeiden. Bisherige Verträge nach § 132a Abs. 4 SGB V gelten solange fort, bis sie durch neue Verträge nach § 132l Abs. 5 Satz 1 SGB V abgelöst werden, längstens jedoch für zwölf Monate nach Vereinbarung der Rahmenempfehlungen.

  • In der Praxis sollten Leistungserbringer, zur Vermeidung von Unsicherheiten, den Austausch mit den Kostenträgern suchen – für Einzel- bzw. Erweiterungsverhandlungen.

Teil 2 des Artikels lesen Sie im April auf kai-kongress.de/news und im KAI-Management-Update.


Autorinnen: Susanne Rösler, Linda Englisch

Ansprechpartnerin: Susanne Rösler ist Management- und Organisationsberaterin bei der contec GmbH. Sie unterstützt stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen bei fachlichen und betriebswirtschaftlichen Fragestellungen sowie bei deren strategischer Ausrichtung. Ihre Schwerpunkte liegen in der Prozessanalyse, Organisationsentwicklung sowie im Interim- und Recovery-Management auf Ebene der Einrichtungs- und Pflegedienstleitung.

Kontakt: s.roesler@contec.de

Bild: Adobe Stock/ronstik