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Teilhabeberatung: Peers helfen über Hürden
In den 500 speziellen Beratungsstellen arbeiten viele Menschen mit Behinderung und unterstützen, wenn es um faire Teilhabe geht.

Bei Markus Rummel kommen die Ratsuchenden meist gleich zur Sache. Der 66-Jährige wird von Menschen mit einer Behinderung aufgesucht, wenn sie in ihrem Alltag nicht zurechtkommen. Rummel ist blind und berät seit 2018 blinde sowie von Erblindung bedrohte Menschen. Er berät in einer sogenannten EUTB-Stelle, EUTB steht für „Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung“. Rund 500 EUTB-Stellen gibt es bundesweit. Dort arbeiten viele Menschen, die selbst ein Handicap haben.
In einer EUTB-Stelle soll kein Thema tabu und keines zu persönlich sein. Kürzlich, berichtet Rummel, hatte er es mit einer jungen Anruferin zu tun, die wegen einer Krankheit ihre Sehkraft verliert. Solche Gespräche gehen Markus Rummel unter die Haut. Er hat vor Jahren dasselbe Schicksal erlitten. Er begann in dem Gespräch, von sich zu erzählen. Davon, dass er als Kind noch gut sah. Während des Studiums war er dann schon erheblich eingeschränkt: „Ich versuchte zu vermitteln, dass ein Leben auch blind machbar ist.“
Eigene Erfahrungen helfen bei Entscheidungen
Zu Corinna Mader kommen pro Monat rund 20 Ratsuchende. Die 39-jährige Sozialpädagogin, die auf einen Rollstuhl angewiesen ist, berät seit drei Jahren in der EUTB-Stelle des Landesverbandes für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung im baden-württembergischen Weingarten. Auch sie erzählt Klientinnen und Klienten oft von eigenen Erfahrungen, um ihnen bei ihrer Entscheidungsfindung zu helfen.
Ein körperlich schwer beeinträchtigter Klient, der gerade den Auszug aus dem Heim plant, möchte mit einer nichtbehinderten Freundin zusammenziehen. In der Beratung bei Corinna Mader geht es um die Frage, wie ein gutes Leben als Paar in einer gemeinsamen Wohnung gelingen kann. Mader rät, sich alles vorher genau zu überlegen, und fügt hinzu: „Meine Ehe zerbrach, weil mein Mann meine Pflege übernommen hatte.“ Das könne auf Dauer stark belasten.
Bund finanziert die Beratung
Die Beratung bei EUTB sind für die Betroffenen kostenlos. Sie wird weitgehend vom Bund finanziert. An die Gelder zu kommen, sei für die EUTB-Stellen allerdings nicht einfach, sagt Jutta Pagel-Steidl, Geschäftsführerin des Landesverbandes für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung in Baden-Württemberg. „Der bürokratische Aufwand ist gigantisch.“ Die ehemalige Mitarbeiterin einer Kommunalverwaltung übernimmt die Abrechnung für alle acht EUTB-Stellen im Land mit ihren insgesamt elf Teilhabeberaterinnen und -beratern.
Die EUTB-Stellen seien ein echter Fortschritt, sagt Pagel-Steidl. Doch der Umgang mit den Stellen lasse mitunter zu wünschen übrig. Warum zum Beispiel, fragt sie, muss sich eine Teilhabeberaterin beim Kostenträger dafür rechtfertigen, dass sie an einer Fortbildung zum Thema Trauer teilgenommen hat? Für Pagel-Steidl grenzt das an Bevormundung.
Für eine qualifizierte Teilhabeberatung ist laut Sevinç Topal vom Bundesverband evangelische Behindertenhilfe „inhaltliche Kompetenz notwendig, unter anderem im komplexen deutschen Sozialrecht“. Daher würden sich EUTB-Beraterinnen und -Berater ständig weiterbilden.
Pandemie erschwert Selbständigkeit
Auch in der Corona-Pandemie wird beraten. „Aus einer Behinderteneinrichtung in eine eigene Wohnung zu ziehen und seine Assistenz zu organisieren, ist in der Pandemie viel schwieriger geworden“, sagt Ottmar Miles-Paul von der Berliner LIGA Selbstvertretung. Auch sei es schwerer geworden, einen Job auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu finden. Gerade bei solchen Fragen, sagt der seh- und hörbehinderte Sozialarbeiter, sei Peer-Beratung wichtig. Menschen, die selbst von einem Handicap betroffen sind, könnten eher ermutigen können als Nichtbehinderte, sagt Miles-Paul.
Autor: Pat Christ (epd)
Foto: Adobe Stock/SimpLine
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