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Unterstützte Kommunikation – ganz praktisch
Im Alltag der außerklinischen Intensivpflege begegnen einem häufig PatientenInnen, die nicht in der Lage sind, sich verbal ausreichend mitzuteilen oder

Im Alltag der außerklinischen Intensivpflege begegnen einem häufig PatientenInnen, die nicht in der Lage sind, sich verbal ausreichend mitzuteilen oder Schwierigkeiten im Verstehen von Sprache haben. Eine Beatmung oder liegende Trachealkanüle, aber auch Bewegungseinschränkungen, Veränderungen in den kognitiven Bereichen sowie Bewusstseinsveränderungen und Sprach- und Sprechstörungen können ein Hindernis für die Kommunikation darstellen.
Wann Unterstützte Kommunikation (UK)?
UK wird dann ein Thema, wenn motorische Einschränkungen vorliegen, die die Teilhabe am täglichen Leben einschränken oder verhindern. Das kann z.B. das Bedienen von Fernseher, Musikanlage und Computer betreffen. Hier dient UK zum Erhalt der Selbständigkeit und ermöglicht ggf. die weitere Teilnahme am Arbeitsleben. Auch bei Einschränkung von kognitiven Funktionen leistet UK einen wertvollen Beitrag. Daneben können Einschränkungen im Sprachverständnis, der Sprache und des Sprechens auftreten, welche die Kommunikation beeinflussen und dann auch den Einsatz von UK erfordern. Wie vielfältig UK im Setting außerklinische Intensivpflege ihren Einsatz finden kann, beleuchten die folgenden Fallbeispiele:
Fallbeispiel ALS
Es handelt sich um einen männlichen Patienten. Er war zum Zeitpunkt der Begleitung 43 Jahre alt. Seine Diagnose lautet ALS. Er lebt in einer außerklinischen Intensivwohngruppe und ist von Beruf Reisebürokaufmann. Als Freizeitaktivitäten gibt er reisen, sich mit Tochter und seiner Mutter austauschen, Biathlon ansehen und klassische Musik hören, an. Die Diagnosestellung erfolgte 2012. Zu Beginn war eine Kommunikation noch gut möglich. Nach zwei Jahren wurde seine Verständlichkeit zunehmend schlechter. Er zeigte eine Dysarthrie. Anfang 2015 hatte er einen starken Schub und wurde beatmungspflichtig und ist seitdem tracheotomiert. Im gleichen Jahr erfolgte die Vorstellung bei uns durch die Kontaktaufnahme der Pflege der Intensivwohngruppe.
Die Kommunikation beim Erstkontakt erfolgt über eine Ja-Nein-Kommunikation, mimische Äußerungen (z.B. lachen und Augen verdrehen), einen Eye-Gaze-Rahmen mit Buchstaben und über das Buchstabieren mittels Partnerscanning. Die Handfunktion ist beidseitig massiv eingeschränkt und auch ansonsten gibt es wenig motorische Willkürmotorik, außer der Möglichkeit Lippen und Zunge, sowie Augen zu bewegen. Eine Positionierung erfolgt liegend im Bett oder im Pflegerollstuhl. Bei der Befragung gibt er an, dass ihm ein selbständiges Bedienen des Fernsehers, der Musikanlage und des Lichtes wichtig sei. Darüber hinaus möchte er Emails selbständig schreiben und sich mit seiner Tochter und seiner Mutter, sowie der Pflege weiter unterhalten können.
Im Buchstabieren über Partnerscanning (Buchstaben sind auf 3 Reihen verteilt, das Gegenüber fragt die Reihen ab und dann die Buchstaben in der entsprechenden Reihe, der Patient zeigt über Mund öffnen an, sobald der richtige Buchstabe genannt wurde) ist er mit geübten Personen sehr schnell (für ihn ist es in Ordnung, wenn angefangene Wörter ergänzt werden).
Der Eye-Gaze-Rahmen mit den Buchstaben ist erst kurz im Einsatz und erfordert von allen Beteiligten noch Übung. Hier wurde, durch uns, als Erleichterung für den Kommunikationspartner die Buchstaben auch auf der Rückseite vermerkt, so dass die Zuordnung des Blickes fehlerfrei erfolgen konnte. Da im pflegerischen Bereich häufig eine Kommunikation über Ja/Nein-Fragen erfolgte, wurde noch eine „Hitliste“ mit häufigen Begebenheiten erstellt, so dass auch Pflegekräfte, die den Patienten noch nicht so gut kennen, seine häufigen und teilweise speziellen Anliegen (z.B. mit dem trockenen Waschlappen über das Gesicht kratzen) schneller erfragen konnten.
Desweiteren wurde die Möglichkeit einer Augenansteuerung erprobt. Die Ansteuerung gelang ihm sicher. Mit einer Verweildauer von 1000ms steuerte er eine schriftbasierte Oberfläche an und konnte mit Hilfe der integrierten Umfeldsteuerung auch, wie gewünscht, Fernseher, Musik und Licht, nach Einspeisen der Fernbedienung und eines Infrarotsteckers, bedienen. Die Versorgung mit der Augensteuerung zog sich über 10 Wochen hin. Nach der Auflieferung erfolgte eine therapeutische Begleitung durch uns. Das Pflegepersonal und die Angehörigen wurden in der Positionierung des Gerätes und im Gebrauch der Oberfläche geschult. Inhalte wurde verfeinert (z.B. Kontaktlisten) und zusammen mit dem Patienten wurde die Handhabung der Kommunikationssoftware und Hardware geübt. Nach 8 Terminen waren sowohl das Umfeld, als auch der Patient selbst firm in der Handhabung des Gerätes.
Fallbeispiel Weaning
Es handelt sich um eine weibliche Patientin. Sie ist 58 Jahre und befindet sich nach einer Herzoperation im prolongiertem Weaning. Sie ist tracheotomiert und hat bedingt durch die Operation und aufgetretenen Nebenerscheinungen eine Polyneuropathie, was dazu führt, dass ihre Hand- und Armfunktion eingeschränkt ist. Ein Schreiben mit einem Stift gelingt ihr nicht.
Im Erstkontakt werden eine Buchstabentafel mit Satzanfängen ausprobiert. Ihr gelingt es, wenn die die Arme unterstützend gelagert werden, mit dem Finger auf der Tafel Buchstaben bzw. Satzanfänge zu zeigen. Da auch hier häufig eine Kommunikation mittels Ja-/ Nein-Fragen erfolgt, wird auch hier die „Hitliste“ etabliert. Eine Augensteuerung wäre hier möglich, die Klinik hält jedoch keine Kommunikationsgeräte bereit. Von einer Beantragung sehen wir ab, da eine Versorgung sich auf im Besten Fall auf ca. einen Monat belaufen würde, realistisch betrachtet sicher auf zwei bis drei Monate. Da die Prognose in diesem Fall jedoch hoffen lässt, dass eine Besserung des Gesundheitszustandes schneller eintritt, erscheint uns dieser Weg als Irrläufer. Nach vier Wochen zeigen sich Fortschritte in der Hand- und Armmotorik, so dass wir mit dem iPad der Patientin anfangen zu experimentieren. Ihr gelingt es an guten Tagen die Bildschirmtastatur des Tablet anzusteuern, langsam und mit Unterstützung durch Vergrößerung der Auflagefläche für die Arme und Hände. So kann die Patientin Nachrichten auf dem Gerät in ein Office-Dokument tippen und Emails schreiben. Das Halten eines Stiftes gelingt ihr immer noch nicht ausreichend, aber mit dem Finger kann sie auf dem Tablet handschriftlich schreiben. Da sich die Entblockungszeiten inzwischen auch ausgeweitet haben, kann sie im entblockten Zustand auch verbal kommunizieren.
Resümee
Dies war nur eine kleine Bandbreite der Unterstützten Kommunikation im Bereich der außerklinischen Intensivpflege. Variierenden Krankheitsverläufe und auftretenden Symptome erfordern ein individuell auf den Patienten abgestimmtes Vorgehen. Oft werden Maßnahmen im Bereich der UK spät oder gar nicht eingesetzt. Ein proaktives Agieren im Sinne von vorausschauendem Planen und Vorbereiten im Bezug auf den Krankheitsverlauf, ist hier ein wichtiger Bestandteil im Fallmanagement. Um dies umsetzen zu können, ist es wichtig, dass alle Berufsgruppen, die mit Patienten arbeiten, um die Möglichkeiten im Bereich UK wissen und sensibilisiert sind im Wahrnehmen von Auffälligkeiten. Einfache Hilfen müssen von allen Berufsgruppen gekannt und einsetzbar sein. Wünschenswert wäre zudem eine zeitliche Beschleunigung der Versorgungsabläufe, v.a. bei akuten Schüben, intermittierenden Begebenheiten und progredienten Erkrankungen.
Tipp der Autorin:
Der Blog „UK-im-Blick“ (https://www.uk-im-blick.de/) beschäftigt sich mit dem Thema UK bei erworbenen Kommunikationsbeeinträchtigungen im Erwachsenenalter und dient als Informationsportal. Dort werden bei Weiterentwicklung neue Aspekte hinzugefügt, es gibt eine Materialsammlung und die Möglichkeit zum Austausch.
Am 22. / 23. April 2021 findet das 2. Fachsymposium zum Thema „Unterstützte Kommunikation in der Klinik“ online statt. Weitere Informationen finden sich unter: https://www.logbuk.de/symposium-2021
Autorin: Sabrina Beer ist Logopädin und seit 2013 fachliche Leiterin des Praxisnetzwerkes und Beratungsstelle für Unterstützte Kommunikation „LogBUK GmbH“. Sie verfügt über langjährige Erfahrung in der Therapie von Kindern und Erwachsenen mit neurologischen Störungsbildern innerhalb Akutsetting, Rehabilitation und ambulanter Praxis. 2013 schloss sie das Masterstudium Neurorehabilitation an der Donauuniversität Krems ab. Zu Beginn ihrer Berufslaufbahn stand eine Ausbildung zur Krankenschwester und Tätigkeiten auf Intensivstationen. Im November 2019 schloss sie das DGSv zertifizierte Studium „professionelle Supervision und Coaching“ ab.
Aufmacherfoto: Adobe Stock/mjowra
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