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Urteil: Ungeimpfte Pflegekräfte müssen nicht beschäftigt werden
Können ungeimpfte Pflegekräfte trotz bestehender einrichtungsbezogener Impfpflicht von ihrem Arbeitgeber verlangen, beschäftigt zu werden? Mit dieser Frage hatten sich jüngst das Arbeitsgericht Gießen und als Berufungsinstanz das Hessische Landesarbeitsgericht jeweils in einem Eilverfahren zu befassen.

Können ungeimpfte Pflegekräfte trotz bestehender einrichtungsbezogener Impfpflicht von ihrem Arbeitgeber verlangen, beschäftigt zu werden? Mit dieser Frage hatten sich jüngst das Arbeitsgericht Gießen und als Berufungsinstanz das Hessische Landesarbeitsgericht jeweils in einem Eilverfahren zu befassen.
Der Fall
Die Einrichtungsleitung eines Seniorenheims hatte zwei nicht gegen das Coronavirus geimpfte Pflegekräfte mit Schreiben vom 14. März 2022 ab dem 16. März 2022 bis auf Weiteres widerruflich unbezahlt von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt und führte als Begründung an, dass Pflegekräfte in Pflegeeinrichtungen und ambulanten Pflegediensten gemäß § 20a Infektionsschutzgesetz ab dem 15. März 2022 entweder gegen das Coronavirus geimpft oder noch nicht länger als drei Monate von einer Infektion mit dem Coronavirus genesen sein müssen. Die beiden Pflegekräfte forderten die Einrichtungsleitung in der Folge auf, die Freistellung zu widerrufen, und boten ihre Arbeitskraft an. Dieser Aufforderung kam die Einrichtungsleitung nicht nach, sodass die beiden Pflegekräfte im Wege eines Eilverfahrens Klage zum Arbeitsgericht Gießen erhoben.
Die Entscheidung
Das Arbeitsgericht Gießen stellte fest, dass die Einrichtungsleitung nicht verpflichtet sei, die beiden ungeimpften Pflegekräfte zu beschäftigen, und dass die Freistellung durch ein das Beschäftigungsinteresse der Pflegekräfte überwiegendes schutzwürdiges Interesse gerechtfertigt sei.
Der allgemeine Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers setze, so das Arbeitsgericht Gießen, voraus, dass das Interesse des Arbeitnehmers an seiner Beschäftigung das des Arbeitgebers an seiner Nichtbeschäftigung überwiege. Lehne der Arbeitgeber wegen entgegenstehender eigener Interessen die Beschäftigung des Arbeitnehmers ab, bedürfe es einer Interessenabwägung, in die alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen seien. Bestünden danach keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen des Arbeitgebers, könne der Arbeitnehmer grundsätzlich eine vertragsgemäße Beschäftigung verlangen. Stünden hingegen überwiegende schutzwerte Interessen der Beschäftigung entgegen, sei der Arbeitgeber nicht zur Beschäftigung des Arbeitnehmers verpflichtet. Vorliegend stehe der Beschäftigung der beiden Pflegekräfte das überwiegende schutzwerte Interesse der Einrichtungsleitung, die Bewohner des Seniorenheims vor einer „Beschädigung von Leib und Leben“ zu schützen, entgegen.
Zwar sei ein ausdrückliches Beschäftigungsverbot nur für diejenigen Personen vorgesehen, die ab dem 16. März 2022 erstmals in Einrichtungen des Gesundheitswesens tätig werden sollten und über keinen Impf- oder Genesenen-Nachweis verfügten oder diesen nicht vorlegten. Und es sei auch bezüglich der bereits in den Einrichtungen beschäftigten Personen zunächst nur die Verpflichtung des Arbeitgebers normiert, dem Gesundheitsamt bei Nichtvorlage eines Impf- oder Genesenen-Nachweises die entsprechenden personenbezogenen Daten zu übermitteln. Hieraus lasse sich aber im Umkehrschluss gerade nicht entnehmen, dass bereits beschäftigte ungeimpfte Personen zwingend tatsächlich zu beschäftigen seien. Vielmehr sei davon auszugehen, dass der Gesetzgeber habe vermeiden wollen, dass mit einem zwingenden Beschäftigungsverbot für ungeimpfte, bereits in den Einrichtungen beschäftigte Personen die Funktionsfähigkeit der Einrichtungen verloren gehe. Dies ändere jedoch nichts an der Intention des Gesetzgebers, dass vulnerable Personen vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus geschützt werden sollen, was u. a. damit gewährleistet werden solle, dass grundsätzlich keine ungeimpften Personen in den Einrichtungen zum Einsatz kommen sollen. Im Hinblick auf die bereits beschäftigten, ungeimpften Personen ergebe sich daraus, dass der Arbeitgeber eben nicht an deren Freistellung gehindert sei.
Das Hessische Landesarbeitsgericht, welches die beiden Pflegekräfte im Nachgang an die Entscheidung des Arbeitsgerichts Gießen anriefen, bestätigte jüngst das erstinstanzliche Urteil. Ergänzend führte das Berufungsgericht an, dass der erforderliche Impfnachweis aufgrund der gesetzlichen Regelung im Infektionsschutzgesetz wie eine berufliche Tätigkeitsvoraussetzung wirke.
Die Bedeutung der Entscheidung für die Praxis
Die Urteile des Arbeitsgerichts Gießen und des Hessischen Landesarbeitsgerichts haben vor dem Hintergrund der zum 15.03.2022 im Gesundheitswesen eingeführten einrichtungsbezogenen Impfpflicht wegweisenden Charakter.
So sind seither Personen, die in Krankenhäusern, voll- oder teilstationären Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung behinderter oder pflegebedürftiger Menschen oder in ambulanten Pflegediensten tätig sind, gemäß § 20a Infektionsschutzgesetz verpflichtet, der Leitung der jeweiligen Einrichtung entweder einen Nachweis über eine vollständige Impfung gegen das Coronavirus oder einen Nachweis, aus welchem sich das Vorliegen einer nicht länger als drei Monate zurückliegenden Infektion mit dem Coronavirus ergibt, vorzulegen. Diese 2G-Pflicht gilt einrichtungsbezogen, also unabhängig von der konkreten Tätigkeit der Person in der Einrichtung. Der Gesetzgeber verpflichtet die Einrichtungen zur genauen Kontrolle der Nachweispflicht. So hat die Einrichtungsleitung in Fällen, in denen etwa Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises bestehen, unverzüglich das örtliche Gesundheitsamt darüber zu benachrichtigen und diesem Angaben zu den jeweiligen Personen zu übermitteln. Dieses kann dann ein Beschäftigungsverbot verhängen.
Ob Arbeitgeber ungeimpfte Pflegekräfte ohne Weiteres unbezahlt freistellen können oder dies nur bei vorherigem Ausspruch eines Beschäftigungsverbotes durch die Gesundheitsbehörden möglich ist, war seitdem eine in der arbeitsrechtlichen Praxis eine vieldiskutierte Frage, welche nun dank des Arbeitsgerichts Gießen und des Hessischen Landesarbeitsgerichts fürs Erste beantwortet zu sein scheint.
Foto: Adobe Stock/eskay lim
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