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Vergütung nach der Krise

Auch wenn die Verhandlungen um eine angemessene Vergütung insbesondere im Bereich der ambulanten Intensivpflege noch nie einfach waren, so hat

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Auch wenn die Verhandlungen um eine angemessene Vergütung insbesondere im Bereich der ambulanten Intensivpflege noch nie einfach waren, so hat sich die Situation der Leistungserbringer in den letzten sechs Monaten erheblich verschärft. Nicht nur, dass die VDEK-Krankenkassen die Leistungserbringer sozusagen „unter sich“ aufgeteilt und gemeinsame Verhandlungsführer benannt haben, so nutzten viele Krankenkassen das Inkrafttreten der neuen Bundesrahmenempfehlung zur häuslichen Krankenpflege zum 01. Dezember 2019 dazu, bestehende Vereinbarungen zu kündigen und zu Neuverhandlungen aufzurufen, in denen es nunmehr nicht mehr nur um die Vergütung, sondern ums „große Ganze“ geht. Welche Auswirkungen der Abschluss entsprechender Vereinbarungen insbesondere in Bezug auf Zusatzqualifikationen von Leitungskräften und Pflegefachkräften, Fortbildungsverpflichtungen und bei Mehrfachversorgungen auch verbindliche Versorgungsquoten auf die Vergütung und Abrechnungsfähigkeit von Leistungen hat, ist vielen Leistungserbringern nicht bewusst.

Verhandlungen an den Jahresverlauf anpassen
Auch die Auswirkungen der Corona-Infektion und der hierauf durch den Gesetzgeber erlassenen Maßnahmen lassen sich nur schwer prognostizieren und noch schwerer in die Vergütungsverhandlungen einbringen. Diese Faktoren außer Acht zu lassen, wäre jedoch fatal, zumal die Leistungserbringer ohne angemessene Vergütung nicht in der Lage sein werden, auf die gegenwärtigen Herausforderungen zu reagieren, insbesondere bestehendes Personal zu halten und neues zu gewinnen. Gegenwärtig reicht es daher nicht aus, wenn die Vergütungsverhandlungen entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes nur auf der Basis der Gestehungskosten des abgelaufenen Geschäftsjahres geführt werden. Diese sind in jedem Fall an die veränderten Bedingungen des laufenden Jahres anzupassen. Hierzu zählen bei den Personalgestehungskosten steigende Bruttolöhne der Pflegekräfte infolge allgemeiner oder tariflicher Lohnerhöhungen, welche auch bei nicht tarifgebundenen Leistungserbringern infolge des Fachkräftemangels zu Lohnsteigerungen führen. Ebenso gleichen sich die Lohnbestandteile stetig den tariflichen Bedingungen an, so dass diese gegebenenfalls schon im laufenden Jahr auch in den tariffreien Unternehmen zur Umsetzung gelangen werden. Im Zusammenhang mit bereits vollzogenen Lohnerhöhungen wurde beobachtet, dass diese insbesondere bei jüngeren Beschäftigten in der Pflege nicht zu einer höheren Bereitschaft zur Arbeitsleistung, sondern dazu geführt haben, eine Vollzeittätigkeit in eine Teilzeitbeschäftigung umzuwandeln. Die Lohnerhöhung hatte in diesen Fällen nicht eine stabilisierende Personalwirkung, sondern bedingte vielmehr einen Personalmehrbedarf, der unmittelbar mit höherem Einarbeitungs- und Fortbildungsaufwand und mithin sinkenden Produktivarbeitsstunden einher ging. Die Lohnerhöhung wirkte sich gleich in zweifacher Hinsicht vergütungserhöhend aus. Ähnlich verhält es sich bei der Umsetzung der Vorgaben der Rahmenempfehlung zu den Zusatzqualifikationen der Pflegefachkräfte. Anders als vor in Krafttreten der Empfehlung, ist nunmehr zur Erlangung der Zusatzqualifikation ein klinisches Praktikum zwingend vorgesehen, das für die ambulanten Leistungserbringer nicht nur mit weiter sinkenden produktiven Arbeitsstunden ihrer Beschäftigten infolge der Ausbildung verbunden ist, sondern die Gefahr birgt, dass diese Mitarbeiter während des Praktikums vom Praktikumsbetrieb abgeworben werden und nicht mehr in das Beschäftigungsverhältnis zurückkehren. Jeder zu ersetzende Mitarbeiter bedingt weitere Kosten der Einarbeitung, Fort- und Weiterbildung und neben diesen zwangsläufig sinkenden produktiven Arbeitsstunden und mithin steigenden Vergütungssätzen. Ebenso werden fachweitergebildete Mitarbeiter für den allgemeinen Pflegemarkt attraktiver, was deren Wechselwilligkeit erhöht. Auch hierdurch erhöhen sich die bereits erwähnten Kosten mit den entsprechenden Vergütungsfolgen.

Sonderurlaub bei der Vergütung bedenken
Mittelbar mit einem Wechsel verbunden können auch weitere kostentreibende Faktoren sein, die in vielen Fällen bislang unberücksichtigt blieben. Wechselt zum Beispiel ein Mitarbeiter nach dem 30. Juni eines Beschäftigungsjahres den Arbeitgeber, so kann dieser vom alten Arbeitgeber die Auszahlung des gesamten noch nicht genommenen, gesetzlichen Erholungsurlaubs verlangen. Allein dies kann, je nach Anzahl der in einem Jahr ausscheidenden Mitarbeiter, dazu führen, dass der durchschnittliche Urlaubsanspruch pro Mitarbeiter wesentlich höher liegt, als der im Einzelfall vereinbarte. Mit jedem abzugeltenden Erholungsurlaubstag sinkt die produktive Arbeitszeit des Mitarbeiters. Dies dürfte im laufenden Jahr auch infolge der Inanspruchnahme von Sonderurlaub nach § 616 BGB der Fall sein. Wenn zum Beispiel – wie gerade gegenwärtig – Kindertageseinrichtungen und Schulen geschlossen werden und Mitarbeiter keine Möglichkeit haben, ihre Kinder anderweitig zu versorgen, so haben diese zwar für eine beschränkte Zeit, jedoch grundsätzlich einen Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber auf bezahlte Freistellung. Wie lange dieser Anspruch besteht, muss im Einzelfall geklärt werden. In die Kalkulation der Vergütung ist dieses Risiko zwingend einzubeziehen. Aber auch dann, wenn Mitarbeiter keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung bei Abwesenheit haben, etwa wenn diese aufgrund unerwartet verhängter Reise- und Einreisebeschränkungen aus einem Erholungsurlaub nicht rechtzeitig zurückkehren können, sind für den Pflegedienst, der zwingend auf den Einsatz des Mitarbeiters angewiesen ist, infolge der Ersatzbeschaffung bei Personaldienstleistern oder Kooperationspartnern Mehrkosten verbunden, die es einzukalkulieren gilt. Auch ist trotz verstärkter Präventionsmaßnahmen in allen gesellschaftlichen Bereichen damit zu rechnen, dass Mitarbeiter vermehrt krankheitsbedingt ihren Dienst nicht antreten, so dass unproduktive Ausfallzeiten infolge Krankheit nicht einfach aus den vergangenen Jahren oder entsprechenden statistischen Ermittlungen auf das laufende Jahr zu übertragen sind.

Arbeitszeiten wegen Infektionslage neu bewerten
Die gegenwärtige Infektionslage, die ein bisher nicht dagewesenes Maß erreicht hat, rechtfertigt und erfordert eine Neubewertung der produktiven Arbeitszeiten zugunsten der Leistungserbringer, die dieses Risiko zu tragen haben. Gleiches gilt für die für die Vergütungsfindung relevanten Personaloverhead- und Sachkosten. Auch hier wird sich die derzeitige Versorgungslage vergütungserhöhend auswirken müssen. Nicht nur, dass zur Sicherstellung der Hygiene und der Umsetzung der durch das Robert-Koch- Institut vorgeschriebenen Maßnahmen vor und nach einem Infektionsfall weiteres Personal abzustellen ist, welches unter anderem an Besprechungen mit Heimaufsichten, Hygieneämtern und sonstigen örtlichen Krisenstäben teilnehmen, Stellungnahmen abgeben und Entscheidungen umzusetzen hat, so bedingen die Maßnahmen infolge eines erhöhten Bedarfs an Hilfsmitteln, wie Desinfektionsmittel in Toiletten und Büro- und Arbeitsräumen, Mund- und Nasenschutz sowie der vermehrten Inanspruchnahme der Leistungen des Betriebsarztes höhere Sachkosten. Diese Kosten steigen auch dadurch, dass einzelne Hilfsmittel auch nur noch zu erhöhten Preisen zu erwerben sind.

Ohne dass die vorstehenden Ausführungen einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben und sich von daher durchaus fortsetzen ließen, sollten diese dazu ermutigen, die Verhandlungen mit den Krankenkassen aufzunehmen, die einzelnen Kostenpositionen zu begründen und zum Abschluss zu bringen. Verhandelt werden sollte stets mit gleichen Kalkulationsunterlagen gegenüber allen Krankenkassen. Vom Abschluss einer Ergänzungsvereinbarung sollte mit Blick auf die derzeit unsichere Versorgungslage abgesehen werden. Nur das, was man auch in der „schlechtesten Versorgungssituation“ zu leisten im Stande ist, sollte zum Gegenstand einer Vereinbarung gemacht werden.

Autor: Michael Helbig ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Sozialrecht, MH Rechtsanwälte, info@anwalt-helbig.de

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